„Ich hätte es doch vorher merken müssen!“ – Sich verzeihen

Nahezu alle Täter und Täterinnen, denen ich in meinem Berufs- und Privatleben begegnet bin, hatten Schuld, aber keine Schuldgefühle. Dem gegenüber haben nahezu alle Opfer von Gewalt und anderen traumatisierenden Handlungen Schuldgefühle, Schuldgefühle ohne Schuld! Eine besondere Qualität dieser Schuldgefühle existiert dann, wenn es im Vorfeld einer traumatisierenden Tat Anzeichen gab, die auf das Geschehen hindeuteten. Eine Mutter, deren Tochter Gewalt erfahren hatte, sagt: „Ich hatte immer schon ein komisches Gefühl mit dem neuen Freund meiner Tochter. Aber ich bin dem nicht nachgegangen. Ich habe gedacht, die ist doch schon groß und ich muss ihr vertrauen. Aber das kann ich mir nicht verzeihen. Immer wieder denke ich daran, dass ich da hätte vorher etwas sagen oder einschreiten müssen. Dann wäre das nicht so passiert.“ Weiter lesen

Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (8): Spucken und Spucktöne

Dieser Artikel ist Teil 8 von 10 der Artikel-Serie Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen

Wenn Menschen verraten werden, wenden sich andere nicht nur von ihnen ab, sondern es dringt auch etwas in sie ein und bleibt in ihnen haften. Oft wird dies als Gefühl, wertlos zu sein, beschrieben oder als Gefühl der Erniedrigung, als Verletzung, oft auch als Stachel. Diesen Stachel, dieses Eingedrungene wieder loszuwerden, dabei helfen oft kreative Methoden in der Therapie. Weiter lesen

Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (7): Die Zeit der Asche und der Trauer

Dieser Artikel ist Teil 7 von 10 der Artikel-Serie Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen

In skandinavischen Sagen und Heldengeschichten begegnen wir oft dem Phänomen, dass sich Männer, die sehr tatkräftig waren und sind, eine Zeit lang zurückziehen, sich in den großen Höfen neben die Kamin-Feuer legten, mit Asche bedeckten und dort lange Zeit nahezu apathisch verharrten. Dies wurde „Zeit der Asche“ genannt. Heute würde die Diagnose wahrscheinlich „depressive Episode“ lauten. Doch es muss nicht gleich eine Depression sein, wenn Menschen den Impuls haben, sich zurückzuziehen. Weiter lesen

Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (6): Wahrhaftigkeit und heiliger Zorn

Dieser Artikel ist Teil 6 von 10 der Artikel-Serie Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen

Wenn traumatisierte Menschen verraten wurden und sich verraten fühlen, dann sind sie oft wütend und zornig. Doch oft werden diese aggressiven Gefühle gebremst, weil viele Menschen denken: „Ich will nicht so aggressiv sein wie die Menschen, die mir etwas angetan haben!“ Oder: „Man muss doch auch vergeben können!“ Weiter lesen

Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (5): Der nützliche Abgrund

Dieser Artikel ist Teil 5 von 10 der Artikel-Serie Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen

Eine Klientin mit massiven Verrats- und Traumaerfahrungen sagte: „Ja, ich schaffe es, zu dem Menschen, der mir das Schlimme angetan hat, Abstand zu halten. Und ich merke auch, das tut mir gut. Es war ein früherer Freund, der mich vergewaltigt hat, und ich fühle mich so von ihm verraten, denn ich habe ihn doch mal geliebt und er mich auch. Für mich ist das immer noch unfassbar. Weiter lesen

Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (4): Das verlorene Paradies, der innere Terror und die Sehnsucht nach dem, was heil ist

Dieser Artikel ist Teil 4 von 10 der Artikel-Serie Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen

Eine Klientin erzählte: „Mir ist, als wäre ich aus dem Paradies vertrieben worden. So wie Eva, als sie den verbotenen Apfel gegessen hat. Doch dabei habe ich doch gar nichts getan. Ich habe nichts Verbotenes getan. Ich bin nur so gedemütigt und verraten worden. Vorher habe ich an mich geglaubt und an ein gutes Leben. Doch jetzt kommt mir das vor wie ein zerplatzter Traum. Ich bin aus dem Paradies vertrieben …“ Weiter lesen

Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (3): Radikaler Respekt

Dieser Artikel ist Teil 3 von 10 der Artikel-Serie Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen

Wer das Gefühl hat, verraten worden zu sein, hat die Erfahrung gemacht, dass er oder sie nicht respektiert wurde. Dies hat oft zur Folge, dass diese Menschen nachhaltig verunsichert sind. Sie sehnen sich auf der einen Seite danach, respektiert zu werden, auf der anderen Seite hat die Erfahrung fehlenden Respekts oft dazu geführt, dass der Respekt vor sich selbst verunsichert, manchmal verwirrt und verkümmert ist und oft angezweifelt wird. Respekt vor sich selbst heißt, sich ernst nehmen in seinen Widersprüchlichkeiten, auch in seinem Kummer, auch in seiner Verunsicherung. Und deswegen empfehlen wir Menschen, die Verratserfahrungen haben, dass sie sich darum bemühen und darin unterstützt werden, den Weg des radikalen Respekts zu gehen. Weiter lesen

Verstörtsein und was es braucht

Die hauptsächlichste Nachwirkung traumatischer Erfahrung besteht darin, dass die Menschen verstört sind. Es gibt bei den meisten keinen Katalog von „Störungen“ oder von allgemeingültigen „Symptomen“, sondern eher ein Befinden, welches das Erleben ausdrückt, dass die Welt nicht mehr die gleiche ist wie früher, die äußere wie die innere Welt. Wir nennen es Verstörtsein. Manche sagen dazu „verpeilt“, „neben sich stehend“, „durcheinander“, „neben der Kappe sein“ …
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Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (2): Der Verlust der Zugehörigkeit und des Eingehaustseins

Dieser Artikel ist Teil 2 von 10 der Artikel-Serie Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen

Viele traumatisierte Menschen beschreiben ihre Erfahrung mit dem Bild, dass sie aus der Welt gefallen sind, aus ihrer Welt. Ein besonderer Aspekt besteht darin, dass die Zugehörigkeit verloren gegangen ist. Wir Menschen fühlen uns dort zugehörig, wo es selbstverständliche Verbindungen und Bindungen zu anderen Menschen gibt. Da die meisten Menschen, die Traumata erlebten, sexuelle Gewalt erfuhren, und dies aus dem engsten Familien-, Verwandtschafts- und Nachbarschaftskreis, muss dies Auswirkungen auf das Vertrauen und die selbstverständliche Zugehörigkeit haben.
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Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (1): Das Gefühl ernst nehmen

Dieser Artikel ist Teil 1 von 10 der Artikel-Serie Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen

„Sie hatten mir gesagt: Das Boot ist sicher. Und doch ist es voll gelaufen!“ Der Flüchtling wurde gerade noch gerettet, seine Frau auch. Doch er fühlt sich auch ein Jahr danach noch getäuscht und verraten und ist fassungslos.

Eine deutsche Klientin war als 12jähriges Mädchen von ihrem Onkel vergewaltigt worden. „Ich hatte ihm doch vertraut. Darüber komme ich immer noch nicht hinweg. Nach über 20 Jahren müsste es doch vorbei sein …“ Auch sie fühlt sich verraten. Immer noch und immer wieder. Weiter lesen