Wir begegnen in der Traumahilfe oft Menschen, die ungern oder gar nicht Hilfe annehmen können. Das kann Beratung, Therapie oder andere Unterstützung betreffen. Wenn sie dann zum Beispiel in einer Therapie erfahren haben, dass Hilfe wirkt, erleichtert, stärkt, verstehen sie oft ihre frühere Haltung nicht.
In Männerwelten darf es kein Trauma geben?
Fußball wird immer häufiger von Frauen und Mädchen gespielt, auch die Zahl der weiblichen Zuschauerinnen und Fans nimmt von Jahr zu Jahr zu. Doch die Ideologien, Normen und Sprüche traditioneller Männerbünde bestimmen immer noch die öffentliche und die veröffentlichte Kultur des Fußballs. Ein Element dieser Kultur besteht darin, Traumafolgen zu ignorieren.
Wer sich für Fußball interessiert, wird mitbekommen haben, dass es beim Fußballverein Borussia Dortmund seit einiger Zeit drunter und drüber geht. Der Trainer wurde entlassen, obwohl er sehr erfolgreich war, die Mannschaft ist gespalten, es gibt unterschiedliche Wahrheiten oder Lügen, die Verantwortlichen verbreiten … Es mag Ursachen geben, die sich in Konkurrenzverhalten und Eifersüchteleien finden lassen, doch der entscheidende Ausgangspunkt für diese Entwicklung ist das Attentat auf den Mannschaftsbus vor dem Champions-League-Spiel gegen Monaco. Die Mannschaft musste einen Tag später gegen Monaco antreten und spielte, wie zu erwarten war, verstört. Der ganze Verein ist seitdem verstört. Die häufigste und signifikanteste Traumafolge, die wir kennen. Weiter lesen
„In einer Blase“
„Ich war wie in einer Blase“, erzählte eine Frau, „ich bekam nichts mehr mit. Die Zeit stand still. Ich war aus der Welt heraus und die Welt war mir nicht mehr zugänglich. Einsamkeit pur.“ Sie hatte ein schweres Trauma erlebt und erlebte sich wir viele andere in einer ähnlichen Situation „in einer Blase“. Die traumatische Erfahrung ließ sie die Begegnung mit ihrer Umwelt verlieren, der Schrecken verstieß sie in einer Blase. So beängstigend eine solche Erfahrung für die betroffene Person ist, so sehr ist sie doch als Schutzreaktion zu verstehen, als Flucht aus der unaushaltbaren Welt. Weiter lesen
Trauma und Träume
Ich halte nichts davon, dass Gegenständen und Handlungen in Träumen bestimmte Bedeutungen zugewiesen werden. Jeder Traum ist oft verdeckter Ausdruck individuellen Erlebens, meist des unbewussten Erlebens. Also muss die Bedeutung jedes Traums individuell entschlüsselt werden.[1] Das gilt auch für das Trauma-Erleben, das sich möglicherweise in Träumen ausdrückt.
Doch zwei Hinweise möchte ich Ihnen geben, zwei Themen, die in Träumen traumatisierter Menschen wiederholt vorkommen.
Das erste Thema ist der Abgrund. Viele Menschen, die traumatischen Schrecken erfahren mussten, fühlen sich „aus der Welt gefallen“ oder gestoßen. Sie träumen, dass sie am Rande eines Abgrunds stehen oder in einen Abgrund stürzen. Ob sich der Abgrund zwischen zwei Hochhäusern auftut oder aus einer Schlucht in der Natur besteht, ist meist nicht wesentlich.
Das zweite Thema besteht darin, dass Menschen einen Zug nicht erreichen oder ein Auto, einen Bus … Manche kommen zu spät, andere werden gehindert und aufgehalten, bei anderen fährt der Zug in die falsche Richtung oder fällt aus. Sie erreichen ihn nicht. Mit dem Zug oder anderen Fahrzeug wollen die Träumenden meist zu einer Person, die sie lieben oder geliebt haben, zu einer Person ihres Vertrauens. Nach einem traumatisierenden Ereignis bekommen die meisten Menschen keine oder zu wenig Unterstützung, können keine Hilfe erreichen. So, wie sie den Zug nicht erreichen …
Beide Themen können auch anderen Quellen des Erlebens als einer traumatischen Erfahrung entspringen. Doch bei diesen Träumen scheint es nach meinen Erfahrungen lohnenswert zu sein, der Spur eines möglichen Traumas nachzugehen.
Diesen Hinweis will ich Ihnen geben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
[1] Hinweis auf das neue AKL-Journal, Heft über Träume …
Wie geht Aufrichten: Mein Boden
Viele Menschen mit traumatischen Erfahrungen wurden erniedrigt und sie fühlen sich erniedrigt. Ihre Herausforderung besteht darin, sich aus der Erniedrigung heraus wieder aufzurichten, einen Weg zu finden, aufrecht und aufrichtig durchs Leben zu gehen.
Doch wer sich aufrichten möchte, muss erst einmal den Blick nach unten zum Boden werfen. Mir hat einmal ein Pantomime erklärt: „Wenn ich pantomimisch darstellen will, dass ich mich nach oben wende, dann muss ich zuerst mit meinem Fuß fest auf den Boden stampfen, um von dort aus einen Bewegungsimpuls nach oben zu beginnen.“ So ist das auch, wenn jemand den Boden unter den Füßen verloren hat. -Wie kann man sich dann aufrichten? Es beginnt mit dem Boden.
Eine kleine Übung hilft:
Aufrichten braucht Halt
Wer erniedrigt wurde, verliert oft den Halt. Erniedrigung führt dazu, dass erniedrigten Menschen schwanken und unsicher sind. Zumindest trifft dies bei vielen zu. Wer den Halt verliert, braucht Menschen, an denen er sich festhalten kann und die ihn festhalten.
Notieren Sie auf einem Zettel in einer linken Spalte, welche Menschen Ihnen einfallen, an denen Sie sich festhalten können. Vielleicht kommen Ihnen Menschen in den Sinn, an die Sie bisher nicht gedacht haben, die in Ihren sozialen Bezügen vielleicht etwas ferner und weiter von Ihnen eingeordnet werden. Nehmen Sie ernst, dass diese Menschen Ihnen eventuell einen Halt bieten können, und versuchen Sie mit Ihnen mehr Kontakt aufzunehmen als bislang.
In die rechte Spalte schreiben Sie die Menschen, die Ihnen keinen Halt geben bzw. die Ihre Unsicherheit noch verstärken. Manchmal sind dies Verwandte, Kolleg*innen oder andere, die Sie nicht einfach „umtauschen“ können. Doch nehmen Sie auch dort Ihre Eindrücke wahr und versuchen Sie, soweit es möglich ist, den Kontakt zu verringern und die Begegnungen mit Menschen, die Ihnen Halt geben können, in den Vordergrund zu stellen.
Diese Differenzierung kann helfen.
Lästern kann entlasten
Viele Menschen mit traumatischen Erfahrungen trauen sich nicht, ihre aggressiven Gefühle gegenüber anderen zu zeigen. Manche betreiben das Gegenteil und sind aggressiv gegen die gesamte Welt. Doch die Scheuen und Zurückhaltenden sind die Mehrheit. Sie wollen nicht so werden wie diejenigen, die ihnen Schlimmes angetan haben. Deswegen verbieten sie sich auch, über andere „herzuziehen“, so wie es oft genannt wird, wenn man lästert.
Doch Lästern kann entlasten. Das Wort Last ist in beiden Begriffen enthalten. Wenn wir Menschen „ablästern“, also laut stöhnen oder schimpfen über andere und auch einmal etwas unkontrolliert Kritisches sagen, dann tut das gut, weil es zurückgehaltene Aggressivität in uns einen Weg aus unserem Herzen finden lässt. Weiter lesen
Stöhnen statt Scham
Menschen, die traumatische Erfahrungen vor allem durch Gewalt erleben mussten, wurden niedergedrückt und erniedrigt. Sich fallen zu lassen, ja sich selbst ein wenig niederzusinken, ist für sie oft mit Scham und Furcht verbunden. Weil es daran erinnert, niedergedrückt zu werden.
Doch niederzusinken kann auch ein Ausdruck davon sein, sich lustvoll und entspannt fallenzulassen. Wenn das im Erleben nicht oder nur selten gelingt, schlage ich Ihnen eine kleine Übung vor:
Stellen Sie sich aufrecht hin. Nun lassen Sie sich mit dem Oberkörper, den Armen und dem Kopf etwas nach vorne sinken, immer mehr, und begleiten Sie dies mit einem lauten Stöhnen. Das Stöhnen hilft nicht nur, die Luft aus dem Körper zu lassen, sondern auch das Leidvolle, was Sie einatmen mussten. Probieren Sie aus, wie Sie stöhnen können, seufzen können, ächzen können, und lassen Sie dabei Arme und Oberkörper, so gut es geht, fallen. Das kann bis ganz unten zum Boden reichen. Aber es reicht auch ein Zentimeter … Weiter lesen
Der große und der kleine Schmerz
Ich werde oft gefragt, ob es richtig ist, Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, auf diese anzusprechen. Ich kann diese Frage nicht generell beantworten. Es hilft, die betroffenen Menschen selbst zu fragen: „Möchtest du darüber reden oder lieber nicht?“
Doch einen wichtigen Hinweis kann ich geben, der sich aus meinen Erfahrungen ergibt. Die traumatische Erfahrung können wir als großen Schmerz bezeichnen. Wenn wir davon als Angehörige, Seelsorger*innen, Berater*innen, Therapeut*innen usw. etwas mitbekommen, ist es wichtig, diesen Schmerz nicht zu ignorieren, weil die betroffenen traumatisierten Menschen dann wieder einmal allein gelassen würden, was ihnen schon oft genug passiert ist. Wer unter schlimmen Erfahrungen leidet, sollte hören: „Ja, es ist schlimm!“ Wer große Schmerzen erleidet, körperliche oder seelische, sollte Mitgefühl und Verständnis erfahren: „Ja, es tut weh und es tut mir leid!“ Wer darüber reden möchte, sollte das tun dürfen. Weiter lesen
Leibgarde
Die Mächtigen dieser Welt haben eine Leibgarde. Manchmal werden sie als Präsidialpolizei oder Sicherheitstruppe oder anders bezeichnet. Der Name ist zweitrangig. Schon in den alten Zeiten der römischen Kaiser hatten diese Leibgarden, die sie beschützten und auf sie aufpassten. Auch Opfer brauchen eine Leibgarde, brauchen andere Menschen, die ihnen zur Seite stehen und die ihnen Schutz bieten.
Diese Leibgarde muss nicht bewaffnet sein und erst recht nicht militärisch ausgebildet. Aber es müssen Menschen sein, denen Opfer vertrauen und an die sie sich wenden können, wenn sie in Not sind, verunsichert sind, ängstlich sind usw.