Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 4: Nicht drängen, nicht drängeln

 

 

 

Oft wissen oder ahnen die Helferinnen und Helfer nach traumatisierenden Situationen, was den betroffenen Menschen guttun könnte. Doch entscheidend ist, dass sie nicht drängen und auch nicht drängeln. Denn die Menschen, um die es hier geht, haben eine extreme Belastung erfahren. Sie wurden bedrängt, durch Gewalt oder sexuelle Gewalt, durch Unglück oder andere schlimme Erfahrungen. Deswegen ist es wesentlich, dass sie Unterstützung in ihrer Autonomie erfahren und dass ihre Entscheidungsfähigkeit respektiert wird.

Ihr Nein wurde nicht gehört, also sind sie verunsichert, oft misstrauisch gegenüber allen, die etwas von ihnen wollen, die sie bedrängen könnten. Sie als Helfer/in fragen zum Beispiel das Opfer einer Gewalterfahrung danach, ob es jemanden gibt, der sie unterstützen und begleiten könnte, wenn Sie selbst nicht da sind: „Soll ich jemanden informieren? Wen wünschen Sie sich hier?“ Manchmal gehen Menschen auf diese Frage bzw. dieses Angebot ein. Und manchmal schütteln sie einfach stumm den Kopf. Sie können es noch nicht ertragen, jemand anderen bei sich zu haben. Oder sie sind noch nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen, wen sie sich wünschen, wen sie brauchen. Das ist wichtig zu respektieren.

Oder Sie begleiten ein Kind, das eine Gewalterfahrung durchleben musste, und sich nun in Ihrer Obhut befindet. Eigentlich stünde es nun an, mit dem Kind zum Krankenhaus zu fahren zur Beweissicherung, Spermaspuren, blaue Flecken usw,, um die Täter dingfest machen zu können. Das ist wichtig und manchmal gelingt dies auch. Aber oft sind die Kinder dazu gar nicht in der Lage. Sie wollen nicht wieder in eine andere Atmosphäre, in eine Klinik. Sie wollen nicht von fremden Menschen begutachtet, berührt, betrachtet werden … Dann gilt es, hier das Kindeswohl, das Wohl der Opfer, an erste Stelle zu setzen, auch wenn damit Spuren verloren gehen. Der Opferschutz steht an erster Stelle.

Auch Anzeigen gegen Täter und Täterinnen stehen in der ersten Zeit nach einer traumatisierenden Erfahrung nicht an. Das kann und sollte später ein Thema sein. In der unmittelbaren Zeit danach, so unsere Erfahrung, ist dies für die meisten betroffenen Menschen noch nicht von Belang. Sie brauchen Parteilichkeit von den Helfenden, für rechtliche und strafrechtliche Fragen reicht die Kraft meist zunächst nicht. Also auch hier: Bieten Sie Ihre Unterstützung an, aber drängeln Sie nicht. Zurückhaltung schafft Halt.

Weitere Artikel dieser Serie: << Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 3: Stress triggert !Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 5: Nicht alleine lassen! >>

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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