Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 3: Stress triggert !

 

 

 

 

 

Die Volksweisheit sagt: „Wer einen Fahrradunfall hatte, sollte sofort wieder auf das Fahrrad steigen.“ Oder: „Wer vom Pferd gefallen ist, soll sofort weiter reiten.“ Diese Ratschläge sind für die meisten Menschen, die traumatischen Ereignissen ausgesetzt wurden, falsch.

Im Einzelfall kann dies eine Bewältigungsstrategie sein, doch all unsere Erfahrungen zeigen, dass Menschen, die traumatische Ereignisse durchlitten haben, danach eine Pause benötigen. Sie kann eine Woche dauern oder drei Tage, bei manchen auch zwei bis drei Wochen oder eine noch längere Zeit. Dies ist individuell unterschiedlich. In jedem Fall ist es wichtig, dass die Menschen Zeit und Raum bekommen, um sich wieder zu sortieren, wieder Boden unter den Füßen zu spüren, sich zu erholen.

Die wichtigste und verbreitetste Folge traumatischer Ereignisse zeigt sich darin, dass die Menschen erschüttert und verstört sind. Sie sind „durch den Wind“ – wie auch immer Sie es formulieren wollen – sie sind verstört. Alles ist durcheinander. Das Selbstwertgefühl ist erniedrigt worden. Sie wissen oft nicht mehr, ob und wie sie welchen Wahrnehmungen trauen können. Sie sind misstrauisch gegenüber der Welt, haben körperliche Schmerzen, kämpfen mit Hocherregungen oder verstummen … All dies zu bewältigen braucht Zeit und braucht Begleitung.

Entscheidend ist, dass es in dieser Zeit (und möglichst auch später) keinen Täterkontakt gibt und möglichst wenig Begegnungen mit Gegenständen, Orten und Situationen, die den Erfahrungen des traumatischen Ereignisses ähneln. Wer nach einem Konzert vergewaltigt wurde, sollte zumindest zunächst einmal kein Konzert besuchen. Später ja, aber nicht in den ersten Wochen. Wer in einer Straßenbahn überfallen wurde, wird Schwierigkeiten haben, sofort wieder Straßenbahn zu fahren. Auch hier, später ja, aber nicht sofort. Denn die Menschen haben Sicherheit und Geborgenheit verloren und brauchen nun neue Erfahrungen des Halts und der Sicherheit und keine, die das traumatische Ereignis wieder lebendig werden lassen.

Würden diese Menschen den Situationen, die einem traumatischen Ereignis ähneln, wieder begegnen, wäre dies Stress. Auch das traumatische Ereignis bestand aus extremen Stress. Wir wissen: Jeder Stress triggert. Wer ein traumatisches Ereignis erlebt hat, wird nicht in der Lage sein, zwei Tage später oder in der Woche darauf eine Prüfung abzulegen, denn diese ist Stress. Dieser Stress wird mit dem traumatischen Ereignis verbunden und kann entsprechende Reaktionen hervorrufen. Stress triggert. Das ist wichtig zu wissen, damit die betroffenen Menschen weich mit sich umgehen und sich schonen. Und es ist wichtig, dass diejenigen, die sie begleiten, dies wissen und akzeptieren. In späteren Phasen kann versucht werden, sich schrittweise dem anzunähern, was anfangs nicht geht, also wieder „aufs Pferd zu steigen“.

Weitere Artikel dieser Serie: << Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 2: Der erste Mensch ist am wichtigsten.Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 4: Nicht drängen, nicht drängeln >>

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

3 Kommentare zu “Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 3: Stress triggert !

  1. „…Entscheidend ist, dass es in dieser Zeit (und möglichst auch später) keinen Täterkontakt gibt und möglichst wenig Begegnungen mit Gegenständen, Orten und Situationen, die den Erfahrungen des traumatischen Ereignisses ähneln. …“ : Diese für ( durch Menschen traumatisierte Menschen – man made disaster – ) Menschen wünschenswerte Situation ergab und ergibt sich leider oftmals nicht, wenn die Täter die eigenen Eltern sind. Die jungen Menschen ( Kinder, Jugendliche ) sind den Tätern dann ausgeliefert und das jahrelang, oftmals über ein Jahrzehnt. Sie sind ihnen ausgeliefert !!!!!!, bei einem zusehenden , wegsehenden und Täter/Innen – beschützenden Umfeld. In Deutschland sterben pro Woche 6 Kinder durch die an ihnen begangenen Misshandlungen ( https://www.youtube.com/watch?v=eOoHKVExekQ ) , jedes dritte bis vierte Mädchen und jeder 7. bis 8. Junge wächst in Deutschland mit der „ganz normalen“ ( „So häufig wie eine Vokskrankheit 2 – https://www.derwesten.de/staedte/duisburg/missbrauch-bleibt-grundrisiko-einer-kindheit-id11458646.html ) Erfahrung von SEXUELLER GEWALT auf ( http://www.aerzteleitfaden.bayern.de/diagnose/sexuelle-gewalt.php ) . Gewalt an jungen Menschen – über Jahre hinweg, oft über lange!!! Jahre hinweg – , die zur Ausübung von MACHT in den verschiedenen, machbaren Ausprägungen / Formen / ( http://www.aerzteleitfaden.bayern.de/diagnose/sexuelle-gewalt.php ) angewandt wird, geht aus nachvollziehbaren Gründen nicht spurlos an den ERNIEDRIGTEN, GEDEMÜTIGTEN und zu einem gewissen Teil auch irgendwann ZERBROCHENEN vorbei. DIe „ganz normale“ Gewalt hinterlässt TRAUMA-FOLGEN ( https://netzwerkb.org/2018/01/13/us-too-every-day/ ), die jedoch nach wie vor bagatellisiert werden, zum Schutze der Täter/Innen und Mit- Täter/Innen . Nach wie vor kämpfen traumatisierte Menschen um die Anerkennung des Erlittenen und auch um eine traumatherapeutische Versorgung, die ihren innerseelischen Beschädigungen entspricht . Deutschlandweit gibt es keine flächendeckend traumaspezifische Versorgung und auch keine einzige Stiftung für die „nur“ !!! 8 Millionen !! ( laut offizieller Zahlenangabe : https://www.google.com/search?q=%C3%A4rzteblatt+Traumafolgekosten&ie=utf-8&oe=utf-8&client=firefox-b-ab ) mit den TRAUMA-FOLGEN erzwungenermaßen !! lebenden Menschen. Statt dessen finden im Umgang mit traumatisierten Menschen immer wieder Grenzverletzungen, weitere Macht-Ausübungen sowie Bagatellisierungen und Verhöhnungen statt. So wird in nicht wenigen Fällen eine angebliche Hilfe zur weiteren, zusätzlichen Belastung oder gar Retraumatisierung ( http://initiative-phoenix.de/unterstuetzer.html ) Dazu möchte ich kurz anmerken : RETRAUMATISIERUNGEN KÖNNEN TÖDLICH !!! ENDEN oder – bei Überleben – in einer ERWERBSUNFÄHIGKEIT münden. Und ja, STRESS TRIGGERT! , sogar der Stress, den traumatisierte Menschen ganz einfach tatsächlich haben, wenn sie von einem REGELSATZ abhängig sind, der ihnen ein ÜBERLEBEN mit z.B. 3,55 EUR am TAg für drei Mahlzeiten sichert und zumutet. Der Regelsatz orientiert sich nicht am realen Bedarf der Menschen und wurde kleingerechnet ( https://www.presseportal.de/pm/53407/4059337?utm_source=facebook&utm_medium=social ) . Eine Stiftung für traumatisierte Menschen ( die auf gar keinen Fall den retraumatisierenden „Fonds sexueller Missbrauch“ https://www.youtube.com/watch?v=M2NbIaO03HA – für Betroffene von Sexueller Gewalt – zum Vorbild haben sollte ) wäre eine mitmenschliche Möglichkeit , um den traumabedingten Stress, der sich ohnehin immer wieder ungewollt und unwillkürlich !!! ( Flashbacks, Hyperarousel – Zustände, … ) zum Leidwesen von traumatisierten Menschen einstellt, zu minimieren und um den traumatisierten Menschen gegenüber zum Ausdruck zu bringen. : AUCH IHR SEID MENSCHEN, IHR GEHÖRT ZU DEN „ANDEREN“ MIT DAZU. Aber die Realität ist eine andere. : Menschen mit traumabedingten Symptomen werden gerne und häufig stigmatisiert und damit ausgegrenzt, was den Innerseelischen Stress dann auch wieder erhöht.

  2. Sehr geehrte Herr Dr. Baer!
    Es ist immer wieder gut, Ihre Zeilen zu lesen, verstehe ich doch nach dem Lesen so manches,was in mir vorgehen kann, danach besser. Seit dem Attentat gegen mich, merke ich, dass ich auf der Arbeit nicht mehr so belastbar bin wie früher. Ich weiß, dass ich dies zunächst akzeptieren muss, stoße aber auch an Grenzen, wenn ich dies zwischendurch auf der Arbeit thematisieren muss. Meine 2 Panikattacken, die ich auch auf der Arbeit erlebte, waren aber ein Warnschuss für mich, die mich dazu bringen, mich in diesem Punkt auf der Arbeit durchzusetzen. Es ist allerdings auch hier Kampf, der Stress bedeutet.

    Mit freundlichen Grüßen, KBS

    Sehr geehrte Frau Sembach-Faitah!

    Auch Ihr Beitrag finde ich sehr gut. Sie zeigen auf, wie viele traumatisierte Menschen es gibt. Aber Sie machen nicht nur dies, sondern Sie stellen sich auf die Seite der Opfer. Ihre Idee, dass es einen Fond für traumatiserte Menschen geben müsste, unterschreibe ich bedingungslos.

    Gerade heute dachte ich, es müsste einen Fond geben. Ich las in einem Forum, dass jemand seit Febr. 2015 ein OEG-Verfahren am laufen hat. In 2 Wochen hat dieser Mensch ein Gutachtertermin ( nach über 3,5 jahren? Unfassbar!), nachdem er bereits ein Glaubwürdigkeitsgutachten überstand. Mein eigenes Verfahren läuft seit März 2016, vor einem Monat habe ich nun eine Anwältin für Opferrecht hinzugezogen. Diese Möglichkeit müsste jeder haben, aber nicht jeder hat diese Möglichkeit.

    Aber gerade viele Versorgungsämter erkennen die Rechte der Opfer nicht von sich aus an, gerade hier muss man kämpfen, gerade hier erlebt man auch den Stress, den man als Opfer nicht brauchen kann. Wie schön wäre also ein Fond, der den Schwächsten von uns auch hierbei hilft.

    Mit freundlichen Grüßen, KBS

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