Was tun, wenn man zum Täter oder zur Täterin wird oder zu deren Kompliz*innen?

Dieser Artikel ist Teil 1 von 2 der Artikel-Serie Angehörige

Angehörige, vor allem männliche Partner, können auf vielfältige Weise die Rolle eines Täters oder einer Täterin zugewiesen bekommen und diese einnehmen. Vielleicht suchen Sie sich der traumatisierten Partnerin sexuell anzunähern oder Sie widersprechen ihr oder Sie äußern einen aggressiven Satz, weil sie sich ärgern … – all das kann das Erleben der traumatisierten Person so triggern, dass Sie in die Rolle eines Täters gestellt werden. Man bezeichnet dies als Übertragung.

Wenn Sie eine solche Übertragung spüren, dann sollten Sie in jedem Fall innehalten und nicht mit dem, womit Sie gerade mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner beschäftigt sind, fortfahren. Ein wenig Abstand, ein wenig Pause, ein wenig Innehalten sind sinnvoll, damit die Übertragung sich nicht weiter festigt und Sie sich alle in Ihren Rollen als Täter oder Opfer festfahren.

In einem zweiten Schritt steht dann an, die Rollen zu klären, besonders Ihre eigene. Wenn Sie zum Beispiel von Ihrer Frau in eine Täterrolle geschoben werden, dann schlagen wir vor zu sagen: „Ich bin dein Mann und ich liebe dich und ich bin nicht ein Täter.“ Natürlich in Ihren Worten und mit Ihren Ausschmückungen. Sie werden damit nicht sofort durchdringen, aber irgendwann doch. In eine Täterrolle zu geraten, kann man nicht aussitzen.

In einem dritten Schritt ist es dann notwendig sich darum zu kümmern, was Ihre Partnerin, um bei diesem Beispiel zu bleiben, braucht, um aus ihrer Opferrolle herauszukommen. Fragen Sie sie, bieten Sie ihr eine Umarmung an oder sonst etwas, von dem Sie wissen, dass es ihr guttut.

Die größten Schwierigkeiten bereitet es, wenn Sie in eine Übertragungsrolle geraten, die Ihnen eine Täterkomplizenschaft unterstellt. Es macht immer wieder fassungslos, dass und wie lange Menschen zusehen, dass Ihre Kinder vom anderen Elternteil oder anderen nahe stehenden Verwandten und Freunden Gewalt erfahren, oft auch sexualisierte Gewalt. Oft sind es Mütter, die den Töchtern nicht helfen. Ihr Schweigen und ihr Zulassen von Gewalttaten entspricht oft eigener Not, oft drohen ihnen auch die Täter. Diese Mütter haben meist selbst eigene Opfererfahrungen, mit denen sie in ihrer Kindheit und Jugend alleine fertig werden mussten. Das macht die unterlassene Hilfeleistung erklärlich, aber nicht verzeihlich. Auch Opfer haben die Möglichkeit, wenn sie selbst nicht einschreiten können, andere Menschen oder Einrichtungen zu informieren und um Hilfe zu bitten. Und viele tun das. Dies zu unterlassen ist nicht nur unterlassene Hilfeleistung, sondern auch Mittäterschaft und Komplizenschaft.

In familiären und anderen Liebesbeziehungen kann manchmal für die Opfer von traumatisierter Gewalt, die die Komplizenschaft anderer Familienangehöriger erlebt haben, diese Erfahrung dieser Komplizenschaft wieder lebendig werden. Sie können als angehörige Person diese Rolle übertragen bekommen. Möglicherweise werden Sie dann beschuldigt, die traumatisierte Angehörige, „nie“ zu unterstützen und sie und ihre Not „immer“ zu ignorieren. Auch hier gelten die gleichen drei Schritte, die in dem Umgang mit Täterrollen beschrieben worden sind: Erstens innehalten, zweitens aussprechen, was Sie empfinden und was ist, und drittens sich darum kümmern, was die traumatisierte angehörige Person braucht.

Wie können Angehörige mit der Hocherregung umgehen?

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Wenn Sie Angehörige oder Angehörige von traumatisierten Menschen sind, dann werden Sie Erfahrungen damit haben, dass diese oft sehr hoch erregt sind. Das gilt für Kinder ebenso wie für Eltern, für Partner oder für Partnerinnen. Die Hocherregung, deren Quellen an anderer Stelle bei den Traumafolgen beschrieben worden sind, kann für Sie störend sein, ja, sogar Leid verursachen. Wenn Sie sehr entspannt sind und jemand anderes sehr hoch erregt, dann werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Ihrer Ruhe und Entspannung gerissen. Wenn Sie selbst aufgeregt sind, kann die hohe Erregung traumatisierter Menschen dazu führen, dass sich die Erregungen hochschaukeln, sie zumindest nicht von ihrer Hocherregung herunterkommen können. Manchmal entladen sich Hocherregungen auch in Streitigkeiten oder führen zu Erkrankungen wie Kopfschmerzen oder körperlichen Spannungen.

Wie können Sie damit umgehen? Wenn Sie eine traumatisierte Person lieben – und das unterstellen wir – werden Sie dazu neigen, die Hocherregungsschübe oder die andauernde Hocherregung auszuhalten. Das kann eine Zeitlang gelingen, kann aber auch bei Ihnen zu Unbehagen oder Folgeschäden führen. Also gilt es Wege zu finden zwischen Distanzierung und Aushalten. Ein Weg zumindest kann darin bestehen, dass Sie das, was Sie gerade empfinden, transparent machen. Dass Sie aussprechen, dass zwischen Ihnen und der anderen Person unterschiedliche Erregungsniveaus existieren und dass Sie sich jeweils in einem anderen Zustand befinden. Manchmal hilft schon das Aussprechen. Oft hilft auch die Frage: „Was brauchst du von mir, was möchtest du von mir, wenn du so hoch erregt bist?“. Manchmal kommen Antworten wie: „Ich bin doch gar nicht aufgeregt!“, oder „Dass du meine Aufregung wegmachst!“. Beides ist nicht sehr fruchtbar für den Umgang miteinander. Oft werden auch unterschiedliche Anlässe angeführt, die gerade eine Hocherregung hervorgerufen haben sollen. Diese Anlässe sind sicherlich immer oder in den meisten Fällen ein wichtiger Faktor, dass die Erregung steigt. Doch das allgemein erhöhte Plateau und die grundsätzliche Bereitschaft, dass die Erregung anwächst oder immer wieder hohe Spitzen erreicht, werden durch diese Anlässe nicht erklärbar. Die Quellen liegen in dem traumatischen Erleben, das auf Dauer langfristige Folgen hat und nur mit therapeutischer Hilfe behoben werden kann, wenn die in diesem Buch gegebenen Hinweise allein nicht fruchten.

Manchmal werden Sie auch Antworten hören, die Sie wie viele Angehörige überraschen. Beispiel: „Ich möchte, dass du mich in den Arm nimmst und fest drückst“ oder: „Lass uns mal einen Film gucken, auch wenn jetzt erst Mittag ist!“ oder: „Mir würde es guttun, jetzt mit dir wenigstens ein bisschen spazieren zu gehen.“ Fragen Sie nach solchen Hinweisen und Bedürfnissen und behalten Sie positive Erfahrungen im Sinn, die Erregung reduzieren, damit Sie auch später darauf wieder zurückgreifen können. Auf leisen Sohlen durch das Leben zu gehen, damit die Kinder, Eltern oder Partner*innen keine Hocherregungsschübe bekommen, wird nicht gelingen und engt das Leben auf Dauer sehr ein. Deswegen suchen Sie Transparenz und Dialog, es lohnt sich.