Trauma und Zeiterleben Teil 1: Objektive und subjektive Zeit

Dieser Artikel ist Teil 1 von 7 der Artikel-Serie Trauma und Zeiterleben

Unsere Uhren dienen dazu, die Zeit in Sekunden, Minuten, Stunden, Tage und Jahre zu zerlegen. Sie zeigen die objektive Zeit, die messbar und vergleichbar ist. Eine Stunde ist überall die gleiche Zeiteinheit, in Japan, in Deutschland, in Norwegen oder in Südafrika. Wir können diese geeichte Zeit messen, vergleichen, uns an ihr orientieren. Das ist sinnvoll.

Daneben gibt es eine andere Zeit: die Zeit, die wir erleben. Wir kennen sie alle von der Schule. Eine Unterrichtsstunde kann sich ewig hinziehen oder, wenn sie interessant und spannend gestaltet ist, wie im „Flug vorbeigehen“. Ein Urlaub ist fast immer zu „schnell“ vorbei, Arbeitstage seltener.

Weiter lesen

Trauma und Zeiterleben Teil 2: Vom Verlangsamen und vom Beschleunigen

Dieser Artikel ist Teil 2 von 7 der Artikel-Serie Trauma und Zeiterleben

Dass Menschen die Zeit subjektiv in unterschiedlichen Tempi erleben, ist normal und gehört zu den grundlegenden Qualitäten menschlichen Lebens und Erlebens. Manchmal staunen wir, „wie schnell die Zeit vergeht“ und manchmal zieht sich eine Stunde, als wären es drei oder vier, zäh und breiig. Eine traumatische oder Trauma-ähnliche Erfahrung kann dieses Zeiterleben massiv beeinflussen.

Ein junger Mann erzählte mir, er sei von seinem Vater oft geschlagen worden. Es gab einmal eine Situation, wo er eine Vase fallenließ. Er war damals sieben Jahre alt. Die Mutter drohte, dies dem Vater zu sagen, der es ihm „schon geben“ würde. Der Vater kam meistens spät nach Hause und der Junge lag schon im Bett, wenn der Vater von der Arbeit kam. Tage- und wochenlang wartete er darauf, dass der Vater zu ihm kam, um ihn wegen seines „Vergehens“ zu schlagen. Doch er kam nicht. Der Junge schlief schlecht ein, erst spät, und die Wartezeit dehnte sich quälend lang. Er erlebte die Phase zwischen dem Zeitpunkt, zu dem er ins Bett ging, und dem, wenn der Vater nach Hause kam, was er von seinem Zimmer aus hören konnte, wie in Zeitlupe. Schließlich dachte er, die Mutter habe vergessen, dem Vater von seinem Missgeschick zu erzählen. Er konnte nun beruhigt einschlafen. Doch nur zwei Tage lang. Denn dann stürmte der Vater an sein Bett und verprügelte ihn.

Weiter lesen

Trauma und Zeiterleben Teil 3: Paranoia

Dieser Artikel ist Teil 3 von 7 der Artikel-Serie Trauma und Zeiterleben

Unter Paranoia wird verstanden, dass Menschen immerzu mehr oder weniger zwanghaft Negatives erwarten und überall Gefahren wittern. Eine solche Haltung beruht oft auf schlimmen, ja traumatischen Erfahrungen. Wer immerzu negative Erfahrungen befürchtet, hat oft auch Negatives erlebt. Im Alltag wird meist das Befürchtete nicht Realität. Aber dies wird dann kaum bewertet, manchmal kaum registriert. Wird ein Unglück erwartet und es tritt ein, dann ist das eine Bestätigung und Bekräftigung der generellen paranoiden Haltung. Insofern erzeugt die Paranoia sich immer wieder selbst.

Weiter lesen

Trauma und Zeiterleben Teil 4: Zeitkollaps

Dieser Artikel ist Teil 4 von 7 der Artikel-Serie Trauma und Zeiterleben

Der amerikanische Psychiater Vamik Djemal Volkan prägte den Begriff Zeitkollaps. Er betrifft in keiner Weise die objektive Zeit, sondern ausschließlich das subjektive Zeiterleben. Ein Zeitkollaps meint, dass Menschen subjektiv in zwei Zeiten leben und sich dieses Zeiterleben überschneidet. Eine alte Frau hält zum Beispiel das Donnergrollen eines Gewitters für die Geräusche eines Bombenabwurfs. Sie erinnert sich nicht kognitiv an die damalige Zeit, sondern sie erlebt sich und ihre Welt, als würden die Bomben in diesem Moment fallen. Sie lebt also in zwei Zeiten, in der Zeit der Bombardierung und in der Gegenwart. Traumatisierte Menschen leben oft in zwei Zeiten gleichzeitig. Beide Zeiten kollabieren.

Weiter lesen

Zeiterleben und Trauma, Teil 5: Das Warten

Dieser Artikel ist Teil 5 von 7 der Artikel-Serie Trauma und Zeiterleben

Das Warten hat so viele Aspekte, dass es angebracht wäre, eine „Phänomenologie des Wartens“ zu verfassen. Wir können zum Beispiel gelassen warten oder äußerst unruhig bzw. angespannt. Wir erwarten Positives oder Negatives oder beides gleichzeitig. Wir können erwarten und abwarten, sogar beim Besuch von Gästen aufwarten. Hier möchte ich mich auf die Frage konzentrieren, welche Auswirkungen traumatische Erfahrungen auf das Warten haben können.

Nehmen wir ein Beispiel. Kinder erwarten den Weihnachtsmann. Auch wenn sie nicht an den Weihnachtsmann glauben, dann steigt die Spannung, die Aufregung erhöht sich. Manche Kinder werden sogar fiebrig, bis die Bescherung, die Verteilung der Geschenke ansteht. Alles, was bis dahin passiert, das Essen, die Musik, die Gesellschaftsspiele, wird als notwendiges Übel hingenommen oder als unerträglich erlebt, weil es scheinbar die Wartezeit in die Länge zieht.

Weiter lesen

Zeiterleben Trauma, Teil 6: Zeitliche Dissoziationen

Dieser Artikel ist Teil 6 von 7 der Artikel-Serie Trauma und Zeiterleben

Wenn ein Schreckenserleben für den betroffenen Menschen unaushaltbar wird, dann kann ein besonderer Schutzmechanismus in Kraft treten. Menschen können sich dann sich „wegbeamen“ oder das Erleben des Schreckens abspalten. Hält sich dies über einen längeren Zeitraum oder gar im weiteren Leben, wird dieser Zustand Dissoziation genannt. Manche Menschen mit traumatischen Erfahrungen reagieren auch mit zeitlichen Dissoziationen. Manche Lebensphasen werden zu einer Black Box. Es gibt keine zeitlichen Erinnerungen an diese Phase oder nur zwei oder drei Momente, die in dem Erinnerungsfluss aufblitzen. Manche Zeiten sind also dissoziiert, auf eine andere Stelle des Unterbewusstseins geschoben worden, was die wörtliche Übersetzung von „dissoziieren“ aus dem Lateinischen bedeutet. Zeitliche Dissoziationen sind also Erinnerungslücken oder vollständige Amnesien, die manche Zeitabschnitte des Lebens betreffen.

Weiter lesen

Zeiterleben und Trauma, Teil 7: Immer zu spät kommen

Dieser Artikel ist Teil 7 von 7 der Artikel-Serie Trauma und Zeiterleben

 

 

 

 

 

Ellen B. gab sich große Mühe, doch sie kam immer zu spät. Sie stellte sich morgens den Wecker rechtzeitig. Sie ging eine halbe Stunde früher aus dem Haus. Sie unternahm alles Mögliche, doch immer wieder kam sie zu spät. Insbesondere wenn sie Menschen traf, die ihr besonders wichtig waren, verspätete sie sich regelmäßig. Das galt für das Vorstellungsgespräch genauso wie für die Begegnung mit einer ihr lieben Freundin. Es war verflixt. Sie haderte mit sich und schimpfte sich aus. Doch je mehr sie sich Druck machte, desto schlimmer wurde es.

Weiter lesen