- Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (1): Das Gefühl ernst nehmen
- Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (2): Der Verlust der Zugehörigkeit und des Eingehaustseins
- Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (3): Radikaler Respekt
- Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (4): Das verlorene Paradies, der innere Terror und die Sehnsucht nach dem, was heil ist
- Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (5): Der nützliche Abgrund
- Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (6): Wahrhaftigkeit und heiliger Zorn
- Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (7): Die Zeit der Asche und der Trauer
- Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (8): Spucken und Spucktöne
- Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (9): Etwas für den Körper tun
- Verrat überleben, Verratsfolgen bewältigen (10): Dem Grummeln folgen
Wenn traumatisierte Menschen verraten wurden und sich verraten fühlen, dann sind sie oft wütend und zornig. Doch oft werden diese aggressiven Gefühle gebremst, weil viele Menschen denken: „Ich will nicht so aggressiv sein wie die Menschen, die mir etwas angetan haben!“ Oder: „Man muss doch auch vergeben können!“ Viele Opfer traumatisierender Gewalt haben Aggressivität als etwas Schlimmes und Verletzendes erlebt und verweigern sich deshalb selbst ihren aggressiven Gefühlen. Doch ich finde, dass aggressive Gefühle gegen Täter und Täterinnen, gegen Menschen, die verraten haben und verraten, gesund sind. Aggressive Gefühle haben den Sinn, dass man etwas verändern möchte. Ohne aggressive Gefühle keine Veränderung.
Ich sage den betroffenen Menschen deshalb: „Sie können aggressiv sein, ohne Täter zu werden, ohne Menschen zu erniedrigen und zu entwürdigen.“ Es gibt nicht nur die Aggressivität und den verletzenden Zorn der Täter und des Verrats, es gibt auch den heiligen Zorn, der sich gegen Ungerechtigkeit und Entwürdigung richtet. Diesen heiligen Zorn zu spüren und zuzulassen, unterstützt die Bewältigung von Verratserfahrungen.
Eine ehemalige Klientin konnte, nachdem sie ihren heiligen Zorn akzeptieren durfte, ihn produktiv wenden. Ihr Zorn war nicht mehr nur zurückgerichtet auf die Täterin, unter der sie gelitten hatte und von der sie sich verraten fühlte, sondern sie richtete sich nun nach vorne, indem sie sich sozialpolitisch engagierte, damit anderen jungen Frauen nicht das gleiche passiert, wie ihr selbst.
Besonders häufig zürnen traumatisierte Opfer gegen die Täuschung, gegen das So-Tun-Als-Ob. Zum Verrat gehört oft, dass Menschen belogen worden sind und dass sie getäuscht wurden. In unserer Gesellschaft begegnen wir dem häufig. In privaten und beruflichen Kontakten wie in der Öffentlichkeit werden Scheinwelten aufgebaut. Da wird so getan, als würde man hehre Ziele verfolgen, während gleichzeitig betrogen und belogen wird. Menschen, die Opfer waren und sind, Menschen, die belogen, betrogen und verraten worden sind, entwickeln häufig sehr feine Antennen dafür, ob Menschen und ihre Handlungen wahrhaftig sind oder Täuschung. Viele halten Betrug und das Vorspielen von Scheinwelten kaum noch aus. Sie reagieren nahezu allergisch darauf, mit Ärger, mit Wut, mit Zorn. Nach meinen Erfahrungen und denen vieler meiner Kolleg/innen sind diese aggressiven Gefühle gesund, sind Teil des heiligen Zorns gegen Täter/innen und gegen Verrat. Gegen Lug und Trug hilft Wahrhaftigkeit und jede öffentliche Äußerung gegen Täuschung ist ein Schritt zu einem besseren Leben und zu einer besseren Gesellschaft.
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