Existenzielle Einsamkeit

„ich fühle mich einsam, egal ob Menschen da sind oder nicht,“ sagte eine Frau zu mir. Einsam kann man sich fühlen, auch wenn man nicht allein ist, in der Familie oder auf der Geburtstagsparty. Einsamkeit ist ein Gefühl, Alleinsein ist ein sozialer Zustand. Beide sind nicht dasselbe.

Doch auch bei der Einsamkeit existieren Abstufungen, ja unterschiedliche Qualitäten. Ein Mensch kann sich in einer konkreten Situation einsam fühlen oder dieses Gefühl kann längere Zeit andauern und zu einem Grundgefühl werden, das das Leben begleitet. Für die zitierte Frau war das Einsamkeitsgefühl sogar existenziell. Sie hatte als kleines Kind ein Trauma erlebt und war danach mit ihren Verlustgefühlen allein geblieben. Sie erzählte: „Ich habe gelernt, damit zu leben. Was Beziehungen betrifft, war ich sehr misstrauisch, hab mich nie zugehörig gefühlt, hatte immer Angst, wieder verlassen zu werden. Auch wenn ich mit jemandem zusammen war und vertraute, blieb doch immer ein Stück Einsamkeit in mir.“ Ich nenne dieses Gefühl „existenzielle Einsamkeit“.

Meist ist sie sehr früh entstanden und/oder durch starke traumatisierende Erschütterungen, v.a. durch den Verlust anderer Menschen oder den Verlust der persönlichen Selbstverständlichkeit und Unversehrtheit. Die Menschen wurden dadurch so auf sich zurückgeworfen, dass die Verbindungen zu anderen gekappt wurden wie die Seile eines Schiffes, dass vom Ufer losgerissen wird und allein aufs Meer treibt. Beschleunigt und vertieft wird dieser Prozess, wenn die Umgebung nicht halten und trösten kann, aus Ignoranz oder Überforderung.

Sich solcher Erfahrungen bewusst zu werden, ist ein erster Schritt. Wichtig ist, dass ein Mensch in diesem Prozess nicht allein ist, sondern Verständnis und Trost für seinen Schmerz erfährt. Dann kann es weiter gehen, dann können kleine Schritte gewagt werden, Brücken zu anderen zu bauen und durch Misstrauen und Ängste vor Verlassen-Werden hindurch Begegnungen zuzulassen. Letzten Endes heilen Erfahrungen der Liebe. Die Einsamkeit verschwindet nicht einfach, sie schmilzt. Langsam, aber stetig.

Was hilft gegen Co-Traumatisierungen?

Co-Traumatisierungen entstehen dann, wenn ein Mensch von dem Trauma-Erleben eines anderen Menschen mit erfasst wird. Das Trauma-Erleben springt quasi über und wird zur eigenen Not. Auch hier hilft das gleiche, was allen anderen Menschen, die traumatische Erfahrungen haben und unter den Folgen leiden, helfen kann. Zwei Aspekte kommen hinzu:

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Was hilft gegen Dissoziationen?

Wenn Menschen mit dem Erleben oder Wiedererleben eines traumatischen Ereignisses überfordert sind, schützen sie sich manchmal, indem sie dissoziieren. Darunter wird verstanden, bestimmte Aspekte oder Teile des eigenen Bewusstseins, der Wahrnehmung, der Erinnerung abzuspalten und betäuben. Gelegentlich spüren die Betroffenen nicht, dass sie dissoziieren. Wenn sie es wahrnehmen, fühlt es sich sehr unangenehm an.

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Wird es wieder so wie vorher?

Diese Frage stellen sich viele Menschen, die traumatisiert worden sind. Das trifft unabhängig davon zu, ob sie durch Naturkatastrophen, Verkehrsunfälle oder Gewalt ein Trauma erlitten haben. Viele sehnen sich danach, das, was passiert ist, ungeschehen machen zu können, es aus der biografischen Geschichte auszuradieren, damit wieder alles so wird, wie es einmal war. Ein solches Bestreben ist verständlich, doch es ist leider nicht realistisch. Jede Krise hinterlässt Spuren und ein traumatisches Ereignis ruft eine Krise hervor. Nachwirkungen existenzieller Gefährdungen werden von den betroffenen Menschen außerdem oft zwar betäubt und in den Hintergrund geschoben, können aber auf Dauer nicht ignoriert werden und machen sich immer wieder bemerkbar. Dieser Mechanismus ist nicht angenehm, aber für das Überleben der Menschen sinnvoll, denn er hält dazu an, vorsichtig zu sein und sich nicht wieder in ähnliche Situationen, die existenziell bedrohlich sind, zu begeben.

Das Trauma kann bewältigt und die Folgen können so minimiert werden, dass ein glückliches Leben möglich ist. Bei manchen gelingt dies schneller, bei anderen dauert dies sehr lange. Manche bewältigen die Trauma-Folgen leichter, andere haben große Schwierigkeiten. Die Erfahrung des Traumaerlebens bleibt aber gespeichert. Das kann dazu führen, dass immer wieder einmal ein Aspekt des Trauma-Erlebens angetriggert wird, also wieder lebendig wird. Doch die meisten Betroffenen können dann die Folgen klein halten und die Erinnerung an den Schrecken schnell wieder verblassen lassen, weil sie wissen, was sie brauchen und wo sie Hilfe suchen können. Noch etwas bleibt: die Erfahrung existenzielle Bedrohung des Lebens und der eigenen Lebendigkeit bewältigt zu haben. Diese Erfahrung produziert Kraft, die das weitere Leben fördert. Und diese Erfahrung schafft Wissen darüber, wie solche Bedrohlichkeiten und deren Folgen überwunden werden können. Auch dies kann auf dem weiteren Lebensweg eine sehr wertvolle Unterstützung werden. Ein traumatisches Erleben ist ein Unglück. Doch die meisten betroffenen Menschen können dieses Unglück, diesen Mist in Gold verwandeln. Es wird nicht mehr wie vorher, aber ein glückliches Leben ist möglich und wahrscheinlich. Die Erfahrung der Krisenbewältigung kann darin unterstützen.

Das Traumagedächtnis und die Zeit

Eine Frau Anfang 70 muss ins Krankenhaus und ihre Erkrankung ängstigt sie. Nachts wacht sie dort auf und erinnert sich an Angstträume. Ihr Mann und ihre drei Kinder begleiten sie und geben ihr Halt und Schutz. Doch die Angstträume sind massiv. Sie beziehen sich nicht nur auf die möglichen konkreten Folgen der Erkrankung, sondern vor allem auf den Tod ihres ersten Partners 30 Jahre zuvor.

Als sie wieder gesundet, erzählt sie, dass sie der alte Schock, vielleicht das alte Trauma, wieder eingeholt hat und dass sie es aber nicht verstehe. Sie hat damals so viel getrauert und so viel Schmerz empfunden, dass sie wirklich danieder gesunken war, sich zumindest so fühlte. „Doch dann ging es wieder aufwärts, bis ich schließlich meinen jetzigen Partner kennengelernt habe und nach einiger Zeit auch zulassen konnte, dass wir uns lieben. Seitdem war ich sehr stabil.“

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Trauma und der Sinn

Traumatische Erfahrungen werfen bei vielen Menschen Sinnfragen auf. Ein Trauma ist Ausdruck einer existentiellen Bedrohung und diese produziert die Frage nach dem Wofür und Wie der Existenz: Was ist in meinem Leben wirklich wichtig und was nicht? Die Beantwortung der Frage nach dem Sinn des Lebens ist für viele mit einem Bilanzieren verbunden: Was war im Rückblick meines Lebens gut und was nicht? Was war wichtig und was war belanglos? Was hätte ich gern anders gemacht? Was würde ich wieder so machen? … Es ist gut, sich diesen Fragen zu stellen und zu versuchen, sie zu beantworten. Das braucht Zeit. Antworten auf Sinnfragen gelingen nicht auf die Schnelle und sie können meistens nicht allein gefunden werden. Es ist notwendig, sich mit anderen Menschen darüber auszutauschen, mit Menschen, denen man vertraut.

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Trauma, Alleinsein, Einsamkeit

Nach einer traumatischen Erfahrung können manche Menschen nicht mehr allein sein. Sie waren in der traumatischsten Situation allein und konnten sich allein nicht gegen die Gewalt, oft sexualisierte Gewalt wehren. Also meiden sie das Alleinsein. Verständlich.

Doch bei vielen anderen geht das Verhalten in die andere Richtung. Der Kreis des gelebten sozialen Feldes eng sich ein: Es gibt weniger Besuche. Auch Anrufe werden manchmal nicht mehr gern beantwortet oder angenommen. Die sozialen Kontakte reduzieren sich. Für viele ist das unverständlich. Doch die Erklärung liegt auf der Hand:

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Wie hilft Parteilichkeit?

Viele Opfer von traumatisierten Gewalttaten sind oft so verstört, dass sie den Boden ihres Denkens, Fühlens und Handelns verlieren. Sie zweifeln daran, sich „richtig“ zu erinnern, und sie werden oft überwältigt von Schuldgefühlen. Diese Schuldgefühle ohne Schuld können lange anhalten und das Denken und Fühlen der betroffenen Menschen stark bestimmen.

Deswegen brauchen traumatisierte Menschen, insbesondere Opfer von Gewalt, Parteilichkeit. Parteilichkeit bedeutet, dass andere Menschen für sie Partei ergreifen, sich an ihre Seite stellen und ihnen spiegeln: „Du bist das Opfer, die anderen sind die Täter! Du bist nicht schuld!“ Das gibt den traumatisierten Menschen Sicherheit und Orientierung. Es wirkt wie ein Kompass bei der Bewältigung des Geschehenen.

Zur Parteilichkeit gehört auch, dass andere Menschen den Betroffenen deren Zweifel und Schuldgefühle erklären und sie dazu ermutigen, Verständnis für sich zu haben und nicht zu hart mit sich zu richten. Den Unterschied zwischen Schuldgefühlen mit und ohne Schuld zu benennen hilft. Genauso hilfreich ist es zu beschreiben, wie eine solche Ausnahmesituation existenzieller Bedrohung, wie sie ein traumatisches Ereignis ist, zu einem „Durcheinander im Kopf“, zu Zweifeln, zu Unsicherheiten und vielfältigen „seltsamen“ Gefühlen führen kann und oft auch führen muss. Bei diesem Erklären geht es nicht darum, generell Kenntnisse über traumatische Prozesse zu erwerben, es zielt vor allem darauf ab, dass die betroffenen Menschen Verständnis für sich selbst bekommen beziehungsweise es vertiefen. Parteiliche Rückmeldungen sind keine einmalige Angelegenheit, sie müssen wiederholt werden, mehrmals und immer wieder. Oftmals auch noch Monate oder Jahre nach dem traumatisierenden Ereignis.

Zur Parteilichkeit gehört auch, dass eine gesellschaftliche Parteilichkeit vorhanden ist. In den Medien, in der Politik und in anderen gesellschaftlichen Aussagen und Veröffentlichungen sollte klar zwischen Tätern und Opfern unterschieden werden und die Gesellschaft sollte sich für eine Unterstützung der Opfer aussprechen und entsprechend handeln, indem Täter und Täterinnen verurteilt werden. Das hilft der Gesellschaft und das hilft jedem einzelnen Opfer.

 

Warum Sie eine Leibgarde brauchen

Eine Leibgarde ist dafür da, Sie zu schützen. Sie steht eigentlich nur den Mächtigen zu. Aber auch wir Normalos brauchen sie manchmal. Zum Beispiel im Krankenhaus. Wenn ich dort behandelt werden, bin meist so voller Schmerzen und so geschwächt, dass ich mich nicht wehren kann gegen falsche Behandlungen oder Vernachlässigung. Meine Leibgarde besteht dann aus meiner Frau und meinen Kindern. Sie passen auf mich auf, weil ich das selber in dieser Situation nicht genügend kann.

Eine Leibgarde brauchen in manchen Situationen auch traumatisierte Menschen. Unmittelbar nach dem Ereignis oder wenn das Traumaerleben durch Trigger wieder lebendig wird, sind sie vielleicht verwirrt und etwas desorganisiert. Ihre Energie wird dann dafür gebraucht, das Traumaerleben zu bewältigen, und reicht nicht für manch anderes. Das ist alles eine normale Reaktion auf unnormale Erfahrungen. Dann brauchen Sie eine Leibgarde. Menschen die Sie beschützen und unterstützen. Wer könnte das sein? Das sollte vorher überlegt werden. Diese Menschen sollten gefragt werden: „Kann ich dich anrufen, wenn ich dich brauche?“

Es lohnt sich.

Was ist mit „Täterintrojekten“ gemeint?

Ein Introjekt bedeutet wörtlich übersetzt etwas, das „hineingeworfen“ wurde. Im Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen werden damit Haltungen und Verhaltensweisen, Werte und Gefühle beschrieben, die ein Täter oder eine Täterin in die Opfern hineingeworfen, in ihnen zurück gelassen hat und die sie von den Tätern als Eigenes übernommen haben. Damit wird erklärt, dass manche Opfer aggressiv werden (was mit den Aggressionen der Täter gleichgesetzt wird) oder sich selbst immer wieder in gefährliche Situationen bringen (was als Wiederholung des Tathergangs erklärt wird). Die meisten Opfer traumatisierender Gewalt lehnen diesen Begriff ab. Sie wehren sich dagegen, von Tätern etwas übernommen zu haben. Sie sind darüber empört, dass sie sich wie die Täter oder Täterin verhalten. Diese Ablehnung des Begriffs Täterintrojekt ist unterstützenswert.

Alles, was mit sogenannten Täterintrojekten erklärt wird, kann auch durch andere Aspekte des Trauma-Erlebens nachvollziehbar werden. Zu den Schuldgefühlen, siehe die Antwort auf vorherige Fragen. Auch wenn sich manche Opfer in ähnliche Situationen wie das traumatisierende Ereignis begeben, so spricht dies eher dafür, dass durch die Gewalterfahrung die Angst so groß wurde, dass sie nicht mehr spürbar ist und als Leitlinie vorsichtigen Verhaltens genutzt werden kann. Aggressives Verhalten von Opfern kann als Notwehr vor möglichen Wiederholungen der Taterfahrungen verstanden werden, auch als vorsorgliches Handeln und Fühlen, ausgelöst durch Trigger. Eine solche Erklärung fußt gerade auf den Erfahrungen als Opfer und beinhaltet keine Übernahme von Täterverhalten.