Traumatisierte Heimkinder im Alter – einige Erfahrungen

1     Am Ende einer Veranstaltung wurde die Frage gestellt: Wie kann ich vertrauensvoll im Alter in eine evangelische Einrichtung gehen, wenn ich als Kind in einem evangelischen Heim traumatisierende Gewalt erfahren habe?
Die Antwort nach meinen Erfahrungen lautet: Gar nicht.
Dieses Vertrauen ist nicht wiederzugewinnen. Die einzige Ausnahme, die ich kenne, existiert dann, wenn es eine vertrauensvolle persönliche Verbindung zur Leitung einer Einrichtung der Altenhilfe gibt. Aber das ist sehr, sehr selten.

2    Viele betroffene ehemalige Heimkinder werden durch die Einrichtung „Heim“ getriggert, unabhängig von der Trägerschaft. Der Geruch des Reinigungsmittels, ein langer Flur, feste Essenszeiten, Schritte im Flur … all das und viel mehr kann die Schrecken der Vergangenheit mobilisieren. Deswegen braucht es Alternativen zu Heimen, Wohngemeinschaften, wie Paula sie in Köln plant, ambulante Betreuung oder wie in dem Haus in Berlin-Neukölln: drei der 40 Wohnungen sind an einen Verein vermietet, der sie an traumatisierte Menschen weitervermietet und mit ihnen Kontakt hält. Letzteres wäre eine Option für diejenigen, für die selbst eine Wohngemeinschaft nicht aushaltbar wäre.

3    Es gibt betroffene Menschen, die nicht in ein wie auch immer geartetes Heim gehen wollen und können, und es gibt zahlreiche traumatisierte ehemalige Heimkinder in den bestehenden Heimen. Deswegen müssen den Mitarbeiter*innen dieser Einrichtungen Kenntnisse und Kompetenzen über Traumata und deren Folgen und den Umgang damit vermittelt werden. Ein Drittel bis zwei Drittel, je nach Alterskohorten, der Menschen in Einrichtungen der Altenhilfe sind traumatisiert. Heimkinder leiden unter den Besonderheiten ihrer traumatisierenden Erfahrungen UND sie stehen im Zusammenhang der zahlreichen Traumafolgen, die sich in der Altenhilfe zeigen und Würdigung brauchen.

4    Jeder Mensch, der traumatisierenden Schrecken erleben musste, wurde entwürdigt. Traumata sind Beziehungsverletzungen. Beziehungsverletzungen brauchen Beziehungsheilung, neue Beziehungserfahrungen mit Menschen, die würdigen. Dazu gehört, dass anerkannt wird, was Schlimmes diesen Menschen zugefügt wurde. Von Institutionen und Personen. Das sollte selbstverständlich sein. Dazu gehört auch tätige Reue. Institutionen und Personen müssen tätig werden, um den Opfern zu helfen, und sie müssen dafür aktiv eintreten, dass nie wieder solche Traumatisierungen geschehen.

 

Udo Baer

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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