Störung: Was stört? Wer stört?

 

 

 

Der Begriff der „Störung“ zieht sich durch alle Bereiche der Definition psychischer Erkrankungen. Eine Alzheimer-Demenz wird ebenso als Störung bezeichnet wie aggressive Handlungen von Kindern, Wahnerkrankungen ebenso wie depressive Störungen. Und dann gibt es immer wieder als Sammelbegriff die „nicht näher bezeichnete Störung“ als eine Art Resterampe, unter die alles fällt, was vorher nicht klassifizierbar ist.

In der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) wird auch deswegen gesagt: „Störung ist kein exakter Begriff.“[1] Entstanden ist die Bezeichnung Störung aus dem Bemühen, Begriffe wie „Krankheit“ oder „Erkrankung“ zu vermeiden. Diese Begriffe sind schwammig und offenbar nicht exakt definierbar.

Doch auch die Bezeichnung psychischer Störungen ist problematisch. Auf der Webseite der Psychiatrischen Klinik Viersen des Landschaftsverbandes Rheinland heißt es zum Beispiel: „Grundsätzlich werden als psychische Störung alle Erkrankungen bezeichnet, die erhebliche Abweichungen vom Erleben oder Verhalten psychisch (seelisch) gesunder Menschen zeigen und sich auf das Denken, das Fühlen und das Handeln auswirken können.“[2] Auch hier zeigt sich die Schwierigkeit des Begriffes. Wenn Störungen als Ersatzbezeichnung für Erkrankungen gelten sollen, können sie nicht als Erkrankungen definiert werden. Was bedeutet „erhebliche Abweichungen“ von dem Verhalten oder Erleben „psychisch gesunder Menschen“? Wer definiert, was psychisch gesund ist? Wenn ein Kind unruhig ist, weicht das vom Verhalten der üblichen Kinder ab? Wann? Wen stört es? Das Kind selbst oder die Umgebung?

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Anpassungsstörungen. Anpassung woran?

 

 

 

Viele Menschen, die traumatische Erfahrungen erleben mussten, erhalten bei einer psychiatrischen oder therapeutischen Behandlung die Diagnose Anpassungsstörungen. Betrachten wir zunächst einmal die Definition im ICD-10. Hier heißt es: “Hier handelt es sich um Zustände von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung, die soziale Funktonen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung, nach einem belastenden Lebensereignis oder bei Vorhandensein oder der drohenden Möglichkeit von schwerer körperlicher Krankheit auftreten. Die Belastung kann die Unversehrtheit des sozialen Netzes betroffen haben (bei einem Trauerfall oder Trennungserlebnis), das weitere Umfeld sozialer Unterstützung oder soziale Werte (wie bei Emigration oder nach Flucht).“[1]

Diese Definition ist sehr weit gefasst und bezieht sich also nicht nur auf traumatische Ereignisse. In dem Gebrauch dieser Definition sind uns zwei Aspekte begegnet. Der eine besteht in dem Begriff der „Anpassung“. Dieser ruft oft Widerstand bei den Menschen, die diese Diagnose erhalten, hervor. Sie fragen sich: Warum soll ich mich anpassen, wenn ich leide? Ist meine Trauer zu viel? Für wen? Für mich oder die andern? Wie kann jemand anders darüber entscheiden, wann ich mit meiner Trennung klarkomme oder nicht? Der Begriff der Anpassung impliziert die Forderung, etwas Gegebenes hinzunehmen. Zum Beispiel heißt es auf der Webseite www.neurologen-und-psychiater-im-netz.ork.: „Eine Anpassungsstörung tritt auf, wenn Menschen einen neu eingetretenen schwierigen psychischen oder physischen Zustand über einen längeren Zeitraum hinaus nicht akzeptieren können bzw. sich an die neue Lebenssituation nicht anpassen können.“

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Was tun bei »seltsamen« Gefühlen traumatisierter Kinder?, Teil 10: Sehnsucht

 

 

 

 

Traumatische Erfahrungen bewirken in den Kindern, dass sie in all ihrem Erleben erschüttert sind. Dazu gehört auch ihr Gefühlsleben. Manche Gefühle verschwinden scheinbar, andere werden stärker, wieder andere verändern sich in ihren Inhalten und ihrem Ausdruck. Deswegen werde ich in den folgenden Abschnitten auf einige dieser Gefühle eingehen, die Veränderungen durch traumatische Erfahrungen beschreiben und Ihnen Hinweise geben, wie Sie damit umgehen können.

Wer durch eine traumatische Erfahrung »aus der Welt geworfen« oder in einen »Abgrund gestoßen« wurde, entwickelt oft eine Sehnsucht nach einer guten, heilen Welt. Diese Sehnsucht ist für Kinder überlebensnotwendig. Sie gibt ihnen Kraft und zeigt ihnen eine Überlebensperspektive. Weiter lesen

Was tun bei »seltsamen« Gefühlen traumatisierter Kinder?, Teil 9: Mitgefühl

 

 

 

Traumatische Erfahrungen bewirken in den Kindern, dass sie in all ihrem Erleben erschüttert sind. Dazu gehört auch ihr Gefühlsleben. Manche Gefühle verschwinden scheinbar, andere werden stärker, wieder andere verändern sich in ihren Inhalten und ihrem Ausdruck. Deswegen werde ich in den folgenden Abschnitten auf einige dieser Gefühle eingehen, die Veränderungen durch traumatische Erfahrungen beschreiben und Ihnen Hinweise geben, wie Sie damit umgehen können

Das Mitgefühl ist die Fähigkeit, sich in das Leid und in die Freude anderer Menschen hineinzuversetzen. Lachen steckt an, genauso wie der Schmerz und das Weinen. Das Mitgefühl ist ein besonders wichtiges Gefühl für ein humanes Miteinander. Das Leid oder auch das mögliche Leid des anderen zu spüren, bremst die eigene Aggressivität und fördert die Solidarität. Alle Kinder verfügen über die Fähigkeit zum Mitgefühl, auch im Vorschulalter. Wie sie es leben und wie sie es umsetzen, das müssen sie lernen. Dafür brauchen sie gute Vorbilder durch uns Erwachsene. Weiter lesen

Was tun bei seltsamen Gefühlen traumatisierter Kinder, Teil 8: Einsamkeit

 

 

 

 

 

Traumatische Erfahrungen bewirken in den Kindern, dass sie in all ihrem Erleben erschüttert sind. Dazu gehört auch ihr Gefühlsleben. Manche Gefühle verschwinden scheinbar, andere werden stärker, wieder andere verändern sich in ihren Inhalten und ihrem Ausdruck. Deswegen werde ich in den folgenden Abschnitten auf einige dieser Gefühle eingehen, die Veränderungen durch traumatische Erfahrungen beschreiben und Ihnen Hinweise geben, wie Sie damit umgehen können.

Viele Kinder fühlen sich phasenweise einsam. Sie vermissen einen Freund oder haben eine Freundin verloren. Manche fühlen sich unverstanden und mit ihrem Kummer alleine gelassen. Solche Phasen der Einsamkeitsgefühle kommen und gehen. Bei traumatisierten Kindern können sich Gefühle der Einsamkeit festsetzen und zu einem Dauerzustand werden, so dass die Kinder sehr stark unter diesem Gefühl leiden. Weiter lesen

Trauma und Würde: Ungelebtes Leben

Traumatische Erfahrungen führen oft dazu, dass manches Leben nicht gelebt werden kann. Den Begriff des „ungelebten Lebens“ hat Victor von Weizsäcker in die Medizin und Therapie eingeführt. Er entspringt eigentlich einer Alltagserfahrung. Wenn wir Menschen uns für einen Partner oder eine Partnerin entscheiden, entscheiden wir uns gegen das Single-Dasein oder gegen eine andere Partnerin oder einen anderen Partner. Wenn wir ins Kino gehen, entscheiden wir uns dagegen, essen zu gehen oder ein Buch zu lesen. Wenn wir einen Beruf ergreifen, entscheiden wir uns gegen einen anderen Beruf.

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Trauma und Würde: Ablenken?

Manche Menschen empfehlen, dass traumatisierte Menschen sich möglichst ablenken, um nicht mit den Trauma-Erinnerungen und Trauma-Folgen konfrontiert zu sein. Andere sagen, dass Ablenkung nichts hilft, dass man sich mit den Trauma-Folgen auseinandersetzen muss. Beides ist richtig, oder besser gesagt: kann richtig sein.

Wer ein Trauma bewältigen möchte, kommt irgendwann nicht umhin, sich mit den traumatischen Erfahrungen auseinanderzusetzen. Dies sollte aber nicht allein geschehen, sondern mit guter und möglichst kompetenter Unterstützung. Dabei sollte man die Erfahrung machen, dass man dem Trauma begegnen kann, aber nicht darin stecken bleibt. Es ist wichtig zu erleben, dass man sich nur allein damit auseinandersetzen muss, sondern dass man in der Not nicht allein ist und mit Begleitung aus dem Trauma-Erleben wieder herauskommen kann.

Doch eine Trauma-Begegnung im Rahmen eines therapeutischen oder ähnlichen Bewältigungsprozesses ist selbstverständlich weder immer möglich noch dauerhaft sinnvoll. Der Wunsch eines jeden Menschen, der eine traumatisierende Erfahrung machen musste, sich von diesen Erinnerungen zu befreien und ihnen nicht immer wieder ausgesetzt zu sein, ist berechtigt. Da kann es helfen, die Ebene des Erlebens zu wechseln und sich abzulenken. Wie das gelingen kann, dafür gibt es keine Rezepte. Das muss jede Person selbst für sich herausfinden. Manche hören Musik, andere unternehmen körperliche Aktivitäten wie Gartenarbeit oder Joggen. Wieder andere brauchen Begegnung mit anderen Menschen. Also Ablenkung ist an sich weder gut noch schlecht, sondern es kommt oft auf den Moment und die Situation an und immer auf die einzelne Person.

Wenn Ablenkungen nicht mehr gelingen, ist dies ein Anzeichen dafür, dass eine therapeutische Begleitung notwendig oder zumindest sinnvoll ist.

Trauma – Trost und Talisman, ein Beitrag von Dr. Gabriele Frick-Baer

Woran erkenne ich, dass in alten Menschen Kriegs- und andere Trauma lebendig werden

Sie kennen solche Situationen und Szenen aus ihrem Arbeitsalltag bestimmt, zumindest so ähnlich: Da ist die alte Frau, die unablässig den Flur auf und ab läuft, voller verzweifelter Unruhe. Wenn die Pflegerin sie auf ihr Zimmer bringen will mit den wohlmeinenden Worten: „Mein Gott, Frau G. das kann man ja nicht mit ansehen, wenn sie weiter so hier herumrennen, dann fallen sie uns ja noch tot um. Das wollen wir doch nicht. Nun setzten sie sich doch mal hin“, dann bekommt sie einen Widerstand zu spüren, von der alten Frau, eine Kraft, von der sie nie gedacht hätte, dass sie die alte Frau haben könnte.

Oder: Da ist der alte Mann, der nachts schreiend aufwacht. Wenn die Pflegerin in sein Zimmer rennt, findet sie einen Mann, der vollkommen in sich zusammen gekauert ist, mit dem Gesicht zur Wand im Bett liegt und schreit. Zusammengekrümmt – obwohl sein Rückgrat am Tag stocksteif und unbeweglich ist.

Oder: Da ist die alte Frau, die immer wenn der Pfleger morgens ins Zimmer kam und sie aufweckte, zu wimmern anfing, leise und kläglich. Er tat das natürlich irgendwann nicht mehr, als sich herausstellte, dass seinen Kolleginnen das nicht passierte. Obwohl er natürlich gekränkt war, da sie sich sonst in allen anderen Situationen ausgezeichnet verstanden. Sie hatten ein fast liebevolles Verhältnis zu einander.

Er verstand die Welt nicht mehr – und sie auch nicht.

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Schenken Sie anderen Menschen Antworten. Ein Gastbeitrag von Frau Lydia Arndt

Es ist mir ein Herzensanliegen über dieses Thema zu schreiben, weil es mich auch selbst immer mal wieder betrifft.

Kennen Sie dieses Gefühl nicht beantwortet zu werden? Es taucht in beruflichen Kontexten ebenso gerne auf, wie in privaten. Sie stellen eine Frage oder treten in Verhandlungen und bekommen von Ihrem Gegenüber keine Antwort.

Mir ist es im letzten Jahr im Kontakt mit einer Institution begegnet, der ich meine Fortbildungen angeboten habe. Es fanden freundliche und interessierte Gespräche statt, mit der Absprache sich zu melden. Es kam keine Rückmeldung. Auch auf Nachfrage durch eine Email gab es keine Antwort.

Was löst ein solches Unbeantwortet bleiben aus? Zunächst mal Irritation, dann Unverständnis. Und ob wir wollen oder nicht, auch Verunsicherung.

Für mich gilt, eine Antwort die schmerzhaft ist, ist besser als keine.

Menschen zu Beantworten ist eine Menschenpflicht. Warum?

Weil wir zutiefst auf Antworten angewiesen sind.

Von Anfang an.

Auch in Liebesbeziehungen gibt es diese Situationen, dass der Eine lieber nach hinten ausweicht, als stehen zu bleiben und aufrichtiges Gegenüber zu sein. Nicht beantwortet zu werden, schmerzt mehr als eine schmerzliche Antwort.

Manchmal gibt es tatsächlich noch keine eindeutige Antwort oder man ist nicht in der richtigen Verfassung für eine passende Antwort. Auch dann gibt es wertschätzende Möglichkeiten:

“Es tut mir leid, jetzt gerade kann ich nicht. Können wir morgen nochmal sprechen. Gib mir ein wenig Zeit.”

Und schon kann mein Gegenüber spüren, dass ich es ernst nehme und wertschätze. Probieren Sie es mal aus.

Das Gleiche gilt auch in beruflichen Kontexten. Wir wissen heute, dass arbeitslose Menschen vielfach unter Stresssymptomen leiden. Sie leben mit vielen Unsicherheiten, die zu Stressreaktionen führen. Und sie leben mit dem tiefen Wunsch einen Arbeitsplatz zu finden. Wieder dazuzugehören. Sie bieten sich an. Sie versenden Bewerbungen, zeigen sich und packen aus.

Die Erfahrung zeigt, viele dieser mit Hoffnungen gefüllten Bewerbungen werden gar nicht beantwortet. Die Menschen wollen Begegnungen und Rückmeldungen und bleiben vielfach in der Leere stehen. Das tut nicht gut. Um nicht zu sagen, es kann krank machen, weil es kränkt.

Nicht beantwortet zu werden geht uns Menschen an den Wert, an die Würde und unter die Haut. Es ist würdelos, um eine Antwort zu bitten und keine zu erhalten.

Und es sind zutiefst menschliche Gefühle. Wir Menschen brauchen uns. Machen wir uns nichts vor.

Wir brauchen es gesehen und gehört zu werden. Und wenn wir eine Frage, in den Begegnungsraum stellen, haben wir alle ein Recht auf eine Antwort. Für all diejenigen von uns, denen es schwer fällt unangenehme Antworten zu geben ist dieser Blogbeitrag. Und natürlich auch für all diejenigen, die in der Warteschleife sitzen geblieben sind. Fassen wir uns ein Herz, formulieren wir aufrichtige Antworten wohlwollend und schenken wir unseren Mitmenschen die Erfahrung eines wertschätzenden Gegenübers. Und andersherum: Wenn Sie auf eine Antwort warten, seien Sie mutig und sprechen Sie an, wie es Ihnen, mit dem Unbeantwortet sein, geht.

Muten wir uns zu. Es ist Beziehungsarbeit, an der wir wachsen.

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