Der große und der kleine Schmerz

Ich werde oft gefragt, ob es richtig ist, Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, auf diese anzusprechen. Ich kann diese Frage nicht generell beantworten. Es hilft, die betroffenen Menschen selbst zu fragen: „Möchtest du darüber reden oder lieber nicht?“

Doch einen wichtigen Hinweis kann ich geben, der sich aus meinen Erfahrungen ergibt. Die traumatische Erfahrung können wir als großen Schmerz bezeichnen. Wenn wir davon als Angehörige, Seelsorger*innen, Berater*innen, Therapeut*innen usw. etwas mitbekommen, ist es wichtig, diesen Schmerz nicht zu ignorieren, weil die betroffenen traumatisierten Menschen dann wieder einmal allein gelassen würden, was ihnen schon oft genug passiert ist. Wer unter schlimmen Erfahrungen leidet, sollte hören: „Ja, es ist schlimm!“ Wer große Schmerzen erleidet, körperliche oder seelische, sollte Mitgefühl und Verständnis erfahren: „Ja, es tut weh und es tut mir leid!“ Wer darüber reden möchte, sollte das tun dürfen.

Doch neben dem großen Schmerz gibt es noch viele kleine Schmerzen. Das sind die Schmerzen, die sich aus den Folgen der traumatischen Erfahrung ergeben. Die Menschen sind verletzlich. Sie haben Angst und Schrecken, sie sind misstrauisch gegenüber anderen Menschen. Sie erleben oft ein Gefühlschaos und anderes mehr. Über diese Schmerzen zu reden, die im Vergleich zu dem traumatischen Schrecken „klein“ sind oder erscheinen, ist wichtig. Denn auch kleine Schmerzen tun weh und können das Leben unglücklich machen. Wenn ein traumatisierter Mensch den großen Schmerz nicht mit anderen teilen kann oder möchte, kann er doch den kleinen Schmerz mitteilen und dort Hilfe erfahren. Für den großen Schmerz braucht es oft eine therapeutische Begleitung, um ihn abzumildern und zu heilen. Bei dem kleinen Schmerz können viele andere Menschen helfen auch im nichttherapeutischen Rahmen der Pädagogik, der Telefonseelsorge und Beratung, auch Angehörige und Freund*innen.

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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