Würde und Trauma 3: Die sieben Säulen der Traumawürdigung

„Traumawürdigung“ beinhaltet, traumatisierte Menschen zu würdigen. Dies ist vor allem eine Haltung, die sich in unterschiedlichen und zahlreichen konkreten Verhaltensweisen und Taten zeigen muss, die für die betroffenen Menschen erfahrbar und erlebbar sein muss. Wir hoffen, dass sich diese Haltung  durch alle Beiträge dieses Blogs, dieser Webseite, zieht und sich das, was wir mit „Traumawürdigung“ meinen, Ihnen erschließt. Wir wollen deshalb die wichtigsten Säulen, die diese Haltung stützen, hier aufzeigen.

Ein erster zentraler Aspekt der Traumawürdigung besteht in der Parteilichkeit. Wer ein Beziehungstrauma erlitten hat und Opfer von Machtmissbrauch und (sexueller) Gewalt wurde, ist danach zumeist verstört. Viele der Betroffenen haben Schuldgefühle ohne Schuld oder ihnen werden Schuldgefühle gemacht. Sie brauchen unbedingt Parteilichkeit, sie müssen von wahrhaftigen, vertrauenswürdigen Menschen hören und erklärt bekommen: „Sie sind nicht schuld, der oder die andere Person ist der Täter, die Täterin.“ Wer eine traumatisierte Person begleitet, muss an ihrer Seite stehen und dies zeigen. Dazu gehört, eindeutig zwischen Opfern und Täter/innen zu unterscheiden.

Um Parteilichkeit zeigen und leben zu können, muss das Trauma, muss die Gewalterfahrung bekannt sein. Traumawürdigung bedarf deshalb der Enttabuisierung. Dies betrifft sowohl die Gesellschaft wie auch die einzelnen Personen. Es bedarf eines Klimas, in dem Opfer als Opfer (dieses Verbrechens!) bezeichnet werden und nicht nur als „Betroffene“ und Täter als Täter/innen und nicht z. B. als „sexuell verirrte Menschen“. Gewalt ist Gewalt und entwürdigt und traumatisiert. Das muss benannt werden, in der Politik ebenso wie in den Familien, in Schule und Kindergarten wie in der Nachbarschaft.

Damit einhergehen muss der dritte Aspekt der Traumawürdigung, der Respekt vor der Intimität der Opfer. Die Schutzgrenzen des Intimen Raums der traumatisierten Opfer sind zumeist verletzt und durchbrochen worden. Umso wichtiger ist es, dass die Forderung nach Enttabuisierung nicht missverstanden wird als Entblößung oder Öffentlichkeitszwang. Jedes Gewaltopfer, jeder traumatisierte Mensch hat das Recht, sich mitzuteilen oder zu schweigen, zu entscheiden, wem und in welcher Form es mitgeteilt werden muss und kann. Wenn wir in diesem Zusammenhang Enttabuisierung fordern, meinen wir, dass die Opfer nicht durch gesellschaftliche und familiäre Schranken gehindert werden, sich zu zeigen und sich zu mitteilen. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich zeigen und sich mitteilen zu können. Sie müssen die Wahl haben.

Der vierte Aspekt der Traumawürdigung besteht darin, dass Traumawürdigung immer ein Beziehungsangebot beinhaltet. Gewaltopfer und andere Menschen mit traumatischen Erfahrungen brauchen würdigende Begegnungen, statt allein gelassen zu werden und sich allein gelassen fühlen zu müssen. Zumeist – und immer bei (sexueller) Gewalt – ist eine traumatische Erfahrung eine Beziehungserfahrung. Diese Beziehungserfahrung ist entwürdigend. Beziehungsentwürdigungen brauchen neue Beziehungserfahrungen, neue würdigende Beziehungserfahrungen.

Traumatische Erfahrungen sind erniedrigend. Traumawürdigung beinhaltet fünftens deshalb Unterstützung beim Aufrichten. Dies beinhaltet körperliches Aufrichten, sich selbst zu spüren, sich selbst mit den eigenen körperlichen Möglichkeiten zu erheben, den Blick und die Stimme zu heben … Dies umfasst aber auch ein seelisches und ein soziales Aufrichten. Vor allem (sexuelle) Gewalt beeinträchtigt, ja zerstört manchmal das Selbstbewusstsein. Würdigende Hilfe beinhaltet deswegen auch Unterstützung beim Aufrichten des Selbstbewusstseins und Selbstwertgefühls.

Wer sich wieder erheben möchte, wer sich aufrichten will, braucht dafür einen Boden. Für viele Opfer (sexueller) Gewalt ist der Boden brüchig geworden. Das Erleben einer traumatischen Erfahrung beinhaltet ja eine existentielle Bedrohung sowie eine Überforderung. Alles, was den Boden festigt oder neuen Boden schafft und einen sicheren Boden unterstützt, ist gut im Sinne der Traumawürdigung.

Schließlich ist es wichtig, in den entwürdigten Opfern traumatisierender Erfahrungen Menschen in ihrer jeweils ausgeprägten Einzigartigkeit zu sehen. In all ihrer Widersprüchlichkeit und Unterschiedlichkeit. Sie sind Opfer einer Gewalterfahrung, ja, und es ist wichtig, dass sie als Opfer gesehen werden und so Parteilichkeit und andere Unterstützung erfahren können. Aber sie sind nicht nur Opfer, sie sind auch lebendige Persönlichkeiten mit vielen Ressourcen und Fähigkeiten, die ihnen geholfen haben und helfen, ihre leidvollen Erfahrungen zu bewältigen und ihr Leben zu meisten.

 

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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