Wenn Menschen mit dem Erleben oder Wiedererleben eines traumatischen Ereignisses überfordert sind, schützen sie sich manchmal, indem sie dissoziieren. Darunter wird verstanden, bestimmte Aspekte oder Teile des eigenen Bewusstseins, der Wahrnehmung, der Erinnerung abzuspalten und betäuben. Gelegentlich spüren die Betroffenen nicht, dass sie dissoziieren. Wenn sie es wahrnehmen, fühlt es sich sehr unangenehm an.
Wie diese Menschen aus der Dissoziation heraus gelangen, verläuft auf unterschiedlichen Wegen. Manche traumatisierte Menschen spüren, dass eine Dissoziation bevorsteht und brauchen Hilfe oder könnten bestimmte Aktivitäten unternehmen, damit die Dissoziation nicht eintritt oder sich nicht vertieft und ausweitet. Auch Angehörige merken oft, dass jemand dissoziiert, und versuchen diese Person davon abzuhalten. Die folgenden Hinweise sind Möglichkeiten für alle drei Situationen, Selbsthilfe, um herauszukommen, Vorbeugung bei Voranzeichen und Begleitung:
- Wenn traumatisierte Menschen es zulassen und wünschen, hilft es, sie zu umarmen oder ihre Hand zu halten.
- Man kann sie zu bitten, etwas anzupacken, etwas in die Hand zu nehmen, um Halt zu bekommen.
- Gelegentlich helfen Orientierungsfragen: Wie heißt du? Wie heiße ich? An welchem Ort sind wir? … Damit soll kein Wissen abgefragt werden, sondern die Verbindung zur konkreten Welt im Hier und Jetzt gestärkt werden.
- Manche können eine Dissoziation vermeiden, indem sie eine Minute tanzen. Anderen helfen Bewegungsrituale, die ihnen vertraut sind.
- Die Begegnung mit anderen Menschen, die Berührung, kann hilfreich sein. Wenn dies körperlich nicht möglich ist, dann ist der gegenseitige Blick in die Augen beziehungsweise die Aufforderung: „Schauen Sie mir in die Augen.“ nützlich.
- Wer selbst droht „abzudriften“, einen Sog spürt in früheres traumatisches Erleben wieder hineinzugeraten, kann versuchen sich über die Sinne zu erden: Welche weißen Gegenstände sehe ich? Wie viele runde oder eckige Gegenstände kann ich zählen? Was höre ich? Was kann ich riechen? …
- Einigen Menschen helfen sinnliche Erfahrungen, wie das Schnuppern an einem Parfüm oder das Reiben eines Eiswürfels über die Haut.
- Manchmal hilft es, etwas zu essen und sich dabei auf den Geschmack des Essens zu konzentrieren.
- Es ist nützlich, die Füße fest auf den Boden zu stellen oder über den Boden zu gehen und dabei vor allen Dingen den Kontakt zwischen der Fußsohle und dem Boden wahrzunehmen.
Wenn Dissoziationen häufiger auftreten oder längere Zeit anhalten, verunsichert das die betroffenen Menschen und schränkt ihre Lebensmöglichkeiten ein. Dann ist es sinnvoll, eine Therapie zu beginnen, bei der, wenn ein gemeinsamer Boden des Vertrauens hergestellt ist, die traumatische Erfahrung bearbeitet werden kann. Manche Opfer traumatisierender Gewalt beschreiben eine feste und langanhaltende Dissoziation wie eine Wand, die nicht zu durchringen ist. Die therapeutischen Erfahrungen zeigen, dass jede solcher Wände immer einen oder mehrere kleine Spalte hat, die Ansatzpunkte der Veränderung bieten können.
- Straflos - 4. November 2024
- „Was brauchst du?“ - 14. Oktober 2024
- Die Sehnsucht und der erste Schritt - 23. September 2024
- Musik kann umarmen - 2. September 2024
- Ein Lob des Misstrauens - 22. Juli 2024
Hallo Herr Dr. Baer,
Danke für den informativen Beitrag.
„Umarmen“ geht bei mir gar nicht. Auch nicht bei meinem Mann oder meinen Kindern. Umarmen löst bis zu intenvisen Abwehrreaktionen aus. Wegstoßen des zu nahe kommenden. Laut werden bis hin zu ärgerlich werden und auch um sich schlagen.
Viele Grüße Michaela
Umarmen geht manchmal, oft nicht. Wenn das Abwehrreaktionen hervorruft, ist das verständlich und dann ist der Wunsch nach Abstand zu respektieren. Jeder Mensch ist verschieden und das ist gut so.