Nach einer traumatischen Erfahrung können manche Menschen nicht mehr allein sein. Sie waren in der traumatischsten Situation allein und konnten sich allein nicht gegen die Gewalt, oft sexualisierte Gewalt wehren. Also meiden sie das Alleinsein. Verständlich.
Doch bei vielen anderen geht das Verhalten in die andere Richtung. Der Kreis des gelebten sozialen Feldes eng sich ein: Es gibt weniger Besuche. Auch Anrufe werden manchmal nicht mehr gern beantwortet oder angenommen. Die sozialen Kontakte reduzieren sich. Für viele ist das unverständlich. Doch die Erklärung liegt auf der Hand:
Die Kraft der betroffenen Menschen reicht oft nicht mehr für die Beziehungen zu anderen. Sie sind mit sich beschäftigt. Mit ihrem seelischen Überleben. Mit der Verarbeitung ihres Traumas. Dabei tut sich eine Falle auf. Es ist verständlich, sich zurückzuziehen und lieber allein zu sein als mit anderen zusammen. Doch andere Menschen sind auch notwendig, um ein Trauma zu überwinden. Es ist wichtig, die Erfahrung zu teilen. Nicht mit allen, aber mit den Menschen denen man vertraut. Es ist sinnvoll, wieder zu anderen Menschen Vertrauen zu gewinnen, weil das Grundvertrauen geschädigt wurde. Und das geht nicht allein, sondern nur in kleinen Schritte mit anderen Menschen.
Und noch etwas kommt dazu. Wer sexualisierte oder andere Gewalt erlebt hat, musste etwas Grauenvolles erfahren. Dieses Erleben ist einzigartig. Grauen hat immer etwas Einzigartiges. Die meisten anderen Menschen haben das Unvorstellbare nicht erlebt. Also fühlen sich Menschen, die traumatisiert sind, oft mit dem allein. Das kann die Tendenzen, sich vor Begegnungen mit anderen zurückzuziehen, verstärken, weil manche Menschen denken: „Mich versteht ja sowieso niemand“. Doch auch Menschen, die nicht die gleichen Erfahrungen machen mussten wie zum Beispiel ein Opfer sexualisierter Gewalt, haben Mitgefühl und können nachvollziehen, wie es den Opfern geht. Wahrscheinlich nicht in vollem Ausmaß, aber doch so weit, dass betroffene Menschen Halt bekommen und Verständnis erfahren. Es lohnt sich.
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Sehr geehrter Herr Baer,
Ihr Artikel ist sehr interessant und hilfreich für das Verstehen von sich selbst
Meine Frage dazu lautet: Bei mir steht ein Bindungs- und Entwicklungstrauma vor der sexualisierten Gewalt.
Am allermeisten leide ich unter mangelnden soz. Bindungen. Es ist wie Isolationshaft. Und meine Bemühungen sind mangels Erfolg zermürbend.
Kontaktaufnahme erfolgen fast ausschliesslich durch meine Initiative. Ich fühle mich völlig isoliert, es ist als gäbe es mich nicht. Das ist eine unerträgliche seit Jahrzehnten andauernde Situation.
Können dazu etwas schreiben.
Vielen Dank
Ich versuche es. In der Reihe der Bibliothek der Gefühle habe ich mit meiner Frau einen Band dazu geschrieben: Wege finden aus der Einsamkeit