Nahezu alle Täter und Täterinnen, denen ich in meinem Berufs- und Privatleben begegnet bin, hatten Schuld, aber keine Schuldgefühle. Dem gegenüber haben nahezu alle Opfer von Gewalt und anderen traumatisierenden Handlungen Schuldgefühle, Schuldgefühle ohne Schuld! Eine besondere Qualität dieser Schuldgefühle existiert dann, wenn es im Vorfeld einer traumatisierenden Tat Anzeichen gab, die auf das Geschehen hindeuteten. Eine Mutter, deren Tochter Gewalt erfahren hatte, sagt: „Ich hatte immer schon ein komisches Gefühl mit dem neuen Freund meiner Tochter. Aber ich bin dem nicht nachgegangen. Ich habe gedacht, die ist doch schon groß und ich muss ihr vertrauen. Aber das kann ich mir nicht verzeihen. Immer wieder denke ich daran, dass ich da hätte vorher etwas sagen oder einschreiten müssen. Dann wäre das nicht so passiert.“
Ob es real eine Chance gegeben hätte, eine Tat zu verhindern, oder ob dies nur eine nachträgliche Fantasie ist, sei dahingestellt. In jedem Fall plagen viele traumatisierte Menschen Selbstvorwürfe und Gedanken: „Ich hätte es doch merken müssen!“
Wie dieser Frau geht es vielen Menschen. Und unsere Erfahrung ist: Sich selbst zu verzeihen, ist viel schwieriger, als anderen Menschen zu verzeihen.
Und dies allein zu tun, nur für sich selbst und mit sich selbst, ist nahezu aussichtslos. Es braucht das Gespräch, es braucht die Unterstützung von Therapeut/innen, von Freund/innen, von Berater/innen, von anderen Menschen, die das Leid sehen und teilen und die bereit sind, wenigstens einen Teil der Selbstvorwürfe von den Betroffenen zu nehmen. Ich empfehle, dies in Therapien, Beratungen und anderen Begleitungen zum Thema zu machen, denn ich weiß, dass viele Menschen, die sich mit Selbstvorwürfen quälen, von sich aus damit nur selten oder sehr spät „herausrücken“.
Eine unterstützende Hilfe besteht darin, dass Sie diese Menschen ermutigen, einen Brief an sich selbst zu schreiben. Dieser sollte damit beginnen, „Liebe oder lieber…“ und dann den eigenen Namen einsetzen. Die erste Zeile sollte lauten: „Ich verzeihe Dir, dass Du …“
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