Ich schreibe dies am Vormittag des 8.7. angesichts der Gewaltbilder aus Hamburg. Dass es viel zu protestieren gibt, teile ich. Dass die Gewalt gegen die Polizei, gegen die Autos und Fahrräder der Anwohner, gegen die Drogerien und Supermärkte, die geplündert wurden, menschenverachtend ist, damit werde ich mich mit fast allen, die dies lesen, einig sein.
Mich treibt um, dass auf den meisten Gewaltbildern, die im Internet zu sehen sind, im Hintergrund und an den Seiten Reporter und Fotografen zu sehen sind. Die Gwalttäter schimpfen auf die Medien und gleichzeitig wollen sie in die Medien und die friedlichen Proteste überdecken. Und die Medien bieten ihnen die Bühne dafür. Das ist ärgerlich. Das ist widerlich. Das möchte ich nicht sehen, weder im Fernsehen noch im Internet.
Und als zweites treibt mich im, warum in diesen Tagen so viele alte Menschen so große Ängste entwickeln angesichts der G 20-Bilder aus Hamburg. Manche beginnen zu zittern, wenn sie schon „Hamburg“ hören. Die Erklärung ist: „Hamburg“ und „Gewalt“ – das aktiviert das Leibgedächtnis und erinnert bewusst und meistens unbewusst an den Feuersturm von Hamburg, die große Bombardierung vom 26.7. bis 3.8.1944 in Hamburg. Es waren wie heute warme Sommertag, als in der „Operation Gomorrah“ mehrere Luftangriffe Hamburg zerstörten. 35 000 Tote, 250 000 Wohnungen zerstört. Über eine Million Hamburg, v.a. Alte, Frauen und Kinder irrten danach durch ganz Deutschland, verstört, verwirrt, veränstigt – der Schrecken verbreitete sich trotz der NS-Propaganda durch ganz Deutschland.
Deswegen sind viele alte Menschen, wenn sie „Hamburg“ und „Gewalt“ hören, erstarrt und erschrocken. Doch nicht nur sie, auch die nächste Generation. Dieser Schrecken wurde weitergegeben und ich menne viele Menschen, die wie nach traumatischen Erfahrungen reagieren, wenn sie die kriegsähnlichen Bilder von Hamburg sehen.
Dass Menschen Angst haben angesichts dessen, was passiert, ist normal. Das hohe Maß der Angst und des Schreckens ist nur mit den kriegstraumatischen Erfahrungen und der transgenerativen Traumaweitergabe zu erklären. Darauf möchte ich hinweisen. Und ich mein Appell an die Kolleg/innen in den Altenheimen: Macht die Fernseher aus! Erspart den alten Menschen diese Bilder. Und redet mit Ihnen, tröstet mit allem, was möglich ist.
Udo Baer, 8.7.2017
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