Viele Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben – vor allem Kriegserfahrungen, Überfälle und sexuelle Gewalt – beschreiben ihr Erleben so, dass sie „aus der Welt gefallen sind“. Sie befinden sich noch in der gleichen Welt wie vorher und in der gleichen Welt wie andere Menschen, doch in ihrem Erleben sind sie aus der bisherigen Welt in eine andere Welt gefallen: in eine Welt der Verzweiflung, in eine Welt oft des Abgrundes, in eine Welt, die andere nicht verstehen. Woraus sie gefallen sind, ist die Selbstverständlichkeit des In-der-Welt-Seins, der selbstverständliche sichere Ort im sozialen Netz.
Das Aus-der-Welt-Fallen gilt für fast alle Menschen mit traumatischen Erfahrungen, auch für die Flüchtlinge, von denen die meisten traumatisches Erleben dulden mussten: vor der Flucht, während der Flucht, nach der Flucht. Doch bei ihnen kommen noch zusätzliche Aspekte hinzu, wie sie sich aus der Welt gefallen fühlen. Der erste besteht darin, dass sie aus ihrer kulturellen Welt gefallen sind. Die Körpersprache hier in Deutschland oder Europa ist anders als in ihren Heimatländern. Die Worte, die Blicke, die Gesten, die Religion manchmal, die Musik, die Anlässe des Lachens und des Weinens – vieles hat sich verändert. Und all das ist Kultur. Kultur besteht nicht nur darin, welche Musik gehört und welche Bilder geschaut werden, welche Architektur vorhanden ist oder wie getanzt wird. All das gehört dazu, aber es gibt auch die Alltagskultur, die in der eigenen Welt als selbstverständlich erachtet und oft gar nicht genauer gewürdigt wird, weil sie so selbstverständlich ist. Doch in der Fremde fallen die Unterschiede auf. In der Fremde werden der Verlust spürbar und die Verunsicherung im Neuen. In der Fremde fühlen sich traumatisierte Flüchtlinge oft aus der kulturellen Welt der Selbstverständlichkeiten der Heimat gefallen.
Und ein drittes Aus-der-Welt-Fallen kommt hinzu: die Familie. Die Familien sind, ob man die Angehörigen mag oder nicht, ob man sie liebt oder hasst, ein enger Bereich selbstverständlicher Sozialisation, selbstverständlichen Bindungserlebens, selbstverständlichen In-der-Welt-Seins. Kleine Kinder begegnen der Welt, indem sie zuerst der Familie begegnen und dort ihre ersten Schritte und Erfahrungen machen. Traumatisierte Flüchtlinge sind oft ohne die ganze Familie geflohen, so dass sie Angehörige – oft nahe Familienangehörige – in ihrer Heimat zurücklassen mussten. Auch wenn die Kernfamilie – Vater, Mutter, Kinder – gemeinsam fliehen konnten, sind oft Großeltern und Geschwister zurückgeblieben. Es fehlt fast immer ein Teil der Familie, so dass sich auch viele Menschen, viele Menschen „aus der Welt“ fühlen: aus der familiären Welt. Hinzu kommt, dass die Lebensbedingungen der Familien hier nun anders sind als vorher. Darüber verschieben sich auch die Rollen und die Beziehungen innerhalb der Familie. Die Familie muss sich neu justieren, neu finden, eine neue Struktur, einen neuen Zusammenhalt entwickeln. Auch dies braucht Zeit. Auch dies braucht Mühen, eine neue familiäre Welt zu bauen.
Diese „Dreifache Aus-der-Welt-Fallen“ bei traumatisierten Flüchtlingen (wegen des Traumas, wegen der Kulturverlustes, wegen der familiären Veränderungen) ist für viele eine extreme Belastung, die nicht beendet ist mit dem Erwerb einer Duldung oder eines anderen Aufenthaltstatus’. Deswegen ist es für uns, die wir traumatisierte Flüchtlinge begleiten, wesentlich, dieses „Dreifache Aus-der-Welt-Fallen“ zu kennen und zu würdigen.
Wenn Menschen aus der Welt gefallen sind, das wissen wir aus der Traumapädagogik und Traumatherapie, gilt es, eine neue Welt zu schaffen, sich in einer neuen Welt einzurichten. Da mag die Wehmut noch so groß sein. Es wird nicht mehr so wie vorher, aber es kann wieder gut werden, zumindest besser, deutlich besser. Dieses Einrichten, dieses Neu-Schaffen eines In-der-Welt-zuhause-Seins braucht Zeit (auch Zeit zu trauern!) und es braucht Unterstützung und andere Menschen, die sich beteiligen und die um diese Herausforderung wissen und sie akzeptieren.
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