- Traumafolgen und Gefühle, Teil 1: Verstört sein
- Traumafolgen und Gefühle, Teil 2: Zwischen maßlosen und gedämpften Gefühlen: Taubheit
- Traumafolgen und Gefühle, Teil 3: Zorn, Wut, Angst
- Traumafolgen und Gefühle, Teil 4: Schuldgefühle
- Traumafolgen und Gefühle, Teil 5: Scham
- Traumafolgen und Gefühle, Teil 6: Trauer
- Traumafolgen und Gefühle, Teil 7: Hilflosigkeit
- Traumafolgen und Gefühle, Teil 8: Gefühl der Gefühllosigkeit
Viele Gewaltopfer schämen sich. Warum ist dies so? Wenn sie von anderen hören, „Du brauchst dich doch nicht zu schämen!“, hat dies zumeist keine oder zumindest keine nachhaltige Wirkung. Um dies zu verstehen, ist es wichtig, sich damit zu beschäftigen, was Schamgefühle sind und was sie hervorruft.
Wir unterscheiden zwischen der natürlichen Scham und der Beschämung. Die natürliche Scham ist der Wächter unserer menschlichen Intimität. Wenn wir uns entblößen, wenn wir etwas von uns zeigen, was eigentlich zu unserem intimen Bereich oder im engeren Sinn zu unserem persönlichen Raum gehört, dann treten die Scham oder die Peinlichkeit als Wächter auf und machen sich bemerkbar. Sie sagen: „Achtung! Pass auf! Hier wird es zu intim!“
Daneben gibt es die Beschämung. Sie kommt nicht von innen und sie hat nicht den Sinn, unsere Intimität zu schützen. Sie kommt von außen und verletzt unsere Intimität, durchbricht die Schutzgrenzen unseres intimen Raums. Beschämung bedeutet, vorgeführt zu werden. Beschämung heißt: Du bist zu groß. Du bist zu klein. Du bist zu blond, zu schwarz. Du bist zu dumm, zu schlau … Beschämung beinhaltet, dass Intimes nach außen gezerrt wird und die Schutzgrenzen durchbrochen werden.
Menschen mit sexueller oder anderer Gewalterfahrung werden beschämt. Ihr Nein wird nicht gehört. Ihre Schutzgrenzen werden verletzt und zerstört. Ihr intimer Bereich wird entblößt. Und gleichzeitig werden sie auch in ihrer natürlichen Scham nicht geachtet. Intimes wird der Öffentlichkeit preisgegeben, auch Gefühle wie Hilflosigkeit und Ohnmacht. Dies erklärt die oft massiven Schamgefühle der Gewaltopfer. Diese zu lindern bedarf des Schutzes und der Geborgenheit. Es ist nötig, dass die Opfer traumatisierender Gewalt diese Zusammenhänge verstehen und mit Unterstützung anderer die Schutzgrenzen ihres intimen Raums allmählich wieder aufbauen und lernen, sich gegen Beschämung zu wehren.
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