- Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 1: Welchen Stellenwert hat die Erste Hilfe?
- Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 2: Der erste Mensch ist am wichtigsten.
- Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 3: Stress triggert !
- Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 4: Nicht drängen, nicht drängeln
- Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 5: Nicht alleine lassen!
- Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 6: Parteilichkeit, Schutz und Schuldgefühle
- Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 7: Zusammenbrüche, Erstarrung und Trauer
- Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 8: Weich bleiben, auch sich selbst gegenüber
- Erste Hilfe bei Traumatisierungen, Teil 9: Sachliche Hilfen
Wer eine traumatisierende Situation erleben musste, war schutzlos, konnte sich nicht erfolgreich wehren, war Gewalt und anderem ausgesetzt. Diese Menschen brauchen in der unmittelbaren Zeit danach (und auch später) Schutz. Dieser Schutz sind Sie. Sagen Sie deshalb, zeigen Sie deshalb, vermitteln Sie deshalb: „Ich bin jetzt für Sie da. Ich passe auf Sie auf.“
Ein Schutz kann sich auch darin äußern, dass Sie parteilich sind, indem Sie zum Beispiel sagen: „Es ist Ihnen etwas Schlimmes passiert. Ich bin an Ihrer Seite!“ Oft wissen die betroffenen Menschen auch nicht mehr, wie alles genau passiert ist und gleichzeitig wiederholen sich Szenenfetzen in einer Endlosschleife. Hier darf noch nicht „aufgearbeitet“ werden, hier steht der Schutz im Vordergrund.
Vor allem entwickeln die betroffenen Menschen oft Schuldgefühle. Wir nennen das die „Schuldgefühle der Opfer“. Es ist zwischen Schuld und Schuldgefühlen zu unterscheiden. Die meisten Täter haben Schuld, aber keine Schuldgefühle. Die meisten Opfer entwickeln Schuldgefühle, haben aber keine Schuld. Vielleicht haben die Schuldgefühle den unbewussten Sinn, dass die Opfer sich selber ein bisschen Wirkungsmächtigkeit bewahren, sei es selbst dadurch, dass sie sagen: „Ich hätte das und das anders machen müssen, dann wäre das nicht passiert.“
Diese möglichen Schuldgefühle der Opfer haben nichts mit rationalen Überlegungen zu tun, sondern sind ein Aspekt des Erlebens, des Herzens, der Gefühlswelt. Deswegen ist es wenig sinnvoll, mit rationalen Argumenten gegen solche möglichen Schuldgefühle anzugehen, sondern es ist wichtig, die Gefühle direkt anzusprechen, zum Beispiel so: „Die andere Person war der Täter. Sie haben keine Schuld.“ Oder: „Die anderen sind die Bösen, Sie sind die Gute. Sie konnten nichts tun. Die anderen waren mächtiger. Sie haben keine Schuld.“
Sie können sicher sein, dass Menschen, die Opfer traumatischer Erfahrungen geworden sind, Schuldgefühle entwickeln. Manche sofort, manche erst viel später. Sie müssen solche Schuldgefühle auch nicht sofort ansprechen. Aber Sie dürfen, wenn es Ihnen sinnvoll erscheint und die Beziehung zwischen Ihnen und der betroffenen Person so viel Vertrauen trägt, danach fragen. Oder wenn Sie Anhaltspunkte in den Äußerungen oder dem Verhalten des Opfers finden, dann gehen Sie darauf ein und thematisieren Sie das Thema Schuld und Schuldgefühle.
Noch einmal: Das ist kein Muss. Bei den meisten treten diese Gefühle erst später auf, aber wenn sie doch direkt in der unmittelbaren Phase nach der Tat in Erscheinung treten, ist es ein Schutz für die Menschen, ihnen auch in dieser Hinsicht Parteilichkeit zu zeigen.
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