Traumatisierte Kinder sensibel begleiten, Teil 2: Was tun bei Verdacht?

 

 

 

Ein einzelnes Anzeichen kann für Sie keine sichere Erkenntnis sein, dass ein Kind sexuelle oder andere Gewalt erfahren hat und traumatisiert ist. Es braucht ein Bündel von Phänomenen, die wahrgenommen werden müssen und aus denen sich dann ein Gesamtbild ergeben sollte. Jeder Verdacht sollte und muss ernst genommen werden. Dieser ist dann noch keine sichere Erkenntnis, sondern eine Vermutung, der im Interesse des Kindes nachgegangenwerden muss.

Dabei helfen die folgenden fünf Schritte:

  • Wenn ein Verdacht auf traumatische Erfahrungen entstanden ist, müssen Eindrücke und Beobachtungen gesammelt werden, auch Bilder, die das Kind malt, Szenen, die es spielt, Verhaltensbeobachtungen und Worte, die es äußert. Wie zeigt sich seine Verstörtheit? Gibt es Ängste? Was ist anders als vorher? usw.
  • Es sollte sofort mit Kolleg/innen in der Einrichtung gesprochen werden, um Erfahrungen auszutauschen, und auch alle Mitglieder des Teams sollten darum gebeten werden, Eindrücke und Beobachtungen zu sammeln. Schreiben Sie diese Eindrücke und Beobachtungen auf. Besonders ist darauf zu achten, ob sich im Spiel bestimmte Szenen wiederholen, die Gewalt und/oder sexuelle Handlungen betreffen.
  • Warten Sie nicht ab, bis eine endgültige Diagnose getroffen werden kann, ob ein Trauma vorliegt oder nicht. Das Kind braucht sofort Stärkung. Deswegen sollten sich alle beteiligten Fachkräfte darum bemühen, dem Kind besondere Aufmerksamkeit zu schenken, ihm Halt zu geben und es insbesondere mit den »spürenden Begegnungen« zu unterstützen.
  • Die Leiterin bzw. der Leiter der Gruppe sollte sich bei den Eltern des Kindes erkundigen, ob etwas Besonderes vorgefallen ist. Es geht nicht darum, sofort einen Verdacht auf eine traumatische Erfahrung hin auszusprechen, sondern zu sagen: »Bei Ihrem Kind gibt es in der letzten Zeit Veränderungen im Verhalten, im Fühlen, im Spielen … Ist etwas vorgefallen, was der Hintergrund dafür sein kann? Gibt es zum Beispiel einen Trauerfall oder Konflikte oder Ähnliches?« Bei Kindern, die mit traumatisierenden Fluchterfahrungen in die Kita kommen, haben Sie allerdings keine Möglichkeit, Veränderungen zu beobachten. Hier ist es notwendig, sich möglichst bei Eltern nach eventuellen Hintergrunderfahrungen zu erkundigen. Vor allem sollte beobachtet werden, ob das Verstörtsein durch den Aufbau von Beziehungen und Geborgenheit in der Kita schwindet oder sich verstetigt. Letzteres ist ein starker Hinweis auf Traumatisierungen.
  • Schließlich sollte, wenn der Verdacht innerhalb von zwei bis drei Wochen stärker wird und sich keine Änderung des Verhaltens zeigt, Hilfe geholt werden. Anlaufstellen können Trauma-Beratungsstellen sein oder der Kinderschutzbund bzw. das Jugendamt. Die Kontaktstellen können im Internet recherchiert oder bei der Stadtverwaltung bzw. beim Träger der Kindereinrichtung erfragt werden. Welche kommunalen Kontaktstellen es gibt und wie diese bezeichnet werden, ist örtlich sehr verschieden.

 

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Weitere Artikel dieser Serie: Traumatisierte Kinder sensibel begleiten, Teil 3: Erregung reduzieren >>

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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