- Der traumatische Prozess bei Flüchtlingen (Teil 1): Erfahrungen im Heimatland
- Der traumatische Prozess bei Flüchtlingen (Teil 2): Die Schrecken der Flucht
- Der traumatische Prozess bei Flüchtlingen (Teil 3): Und dann?
- Der traumatische Prozess bei Flüchtlingen (Teil 4): Und davor?
Wenn dreihundert Menschen sich auf ein kleines Boot klettern, das auf maximal zehn Personen angelegt ist und sich auf das Meer begeben, dann ist das eine existenziell bedrohliche Erfahrung, ein traumatisches Erleben. Doch auch noch viele andere mögliche traumatische Erfahrungen auf der Flucht gibt es.
Eine Frau erzählt zum Beispiel:
„Diese Unsicherheit, im fremden Land, wo ich die Sprache nicht kenne, wo ich immer wieder merkte, dass die anderen auf mich gucken, das war schrecklich. Immer hatte ich Angst, verhaftet zu werden, wenn mich jemand sieht. Ich versteckte mich jeden Tag und bewegte mich nur nachts. Ich wusste, dass ich illegal da bin, dass ich illegal Grenzen überschritten habe, das war irgendwie schlimm. Damit kam ich nicht klar. Und damit komme ich immer noch nicht klar. Das bin so gar nicht ich.“
Und ein Mann Ende vierzig erzählt:
„Meine Familie und ich wir waren immer ausgeliefert. Allen waren wir ausgeliefert. Der Polizei waren wir ausgeliefert, den Schleppern waren wird ausgeliefert. Allen. Wenn wir unter einer Brücke geschlafen haben oder in einem Stall, immer war da die Angst, entdeckt zu werden, immer war da die Angst, wieder abgeschoben zu werden, zurückgeschickt zu werden in den Krieg. Und dann war da die Angst, dass wir uns verlieren. Dass ich meine Frau verliere, dass meine Kinder verloren gehen, dass wir nicht zusammenbleiben. Das war eine Hölle.“
Viele Flüchtlinge berichten auch, dass sie gehungert haben:
„Wir fuhren durch den Sudan und das ist sowieso ein armes Land und es gab kaum etwas zum Essen und dann ließen uns die Leute, wo wir den Transport bezahlt haben, plötzlich irgendwo zurück und wir mussten uns durch das Land schlagen. Das war ganz schlimm. Wir hatten Hunger. Wir hatten Angst, zu verhungern. Wir bekamen kaum etwas zum Essen, und wenn wir in Orte kamen, dann haben die Leute gedacht, wir würden stehlen oder sie überfallen, und uns verjagt. Der Hunger war schlimm.“
Wir wissen auch von vielen alleinreisenden minderjährigen Flüchtlingen, die von der Familie losgeschickt wurden oder, weil sie ihre Eltern verloren haben, sich allein nach Europa durchgeschlagen haben. Viele von ihnen sind traumatisiert, weil sie auf der Flucht Schreckliches mitmachen mussten. Und viele Frauen und Mädchen erzählen, dass sie während der Flucht sexuelle Gewalt erlebt haben, von Polizisten und Grenzbeamten, von Schleppern und Soldaten, aber auch von anderen Flüchtlingen, auch in den Flüchtlingscamps, selbst auf den Booten.
Der Prozess der traumatischen Erfahrungen beginnt für die meisten Flüchtlinge im Heimatland, aber endet dort nicht. Er setzt sich fort durch die Erfahrungen auf der Flucht, durch die Bedrohungen und die vielen Unsicherheiten.
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