Was tun bei »seltsamen« Gefühlen traumatisierter Kinder?, Teil 3: Zorn

 

 

 

Traumatische Erfahrungen bewirken in den Kindern, dass sie in all ihrem Erleben erschüttert sind. Dazu gehört auch ihr Gefühlsleben. Manche Gefühle verschwinden scheinbar, andere werden stärker, wieder andere verändern sich in ihren Inhalten und ihrem Ausdruck. Deswegen werde ich in den folgenden Abschnitten auf einige dieser Gefühle eingehen, die Veränderungen durch traumatische Erfahrungen beschreiben und Ihnen Hinweise geben, wie Sie damit umgehen können.

Ein Kind ist manchmal ärgerlich, zornig, wütend und zeigt dies auch. Die Kinder teilen uns dadurch mit, dass sie etwas anders haben wollen. Die Mutter soll nicht weggehen, sie möchten das Essen nicht aufessen, sie wollen beim Spiel gewinnen … Das ist der Sinn und der Nutzen der aggressiven Gefühle: Sie zielen auf Veränderung ab und zeigen, dass Kinder eine solche Veränderung bewirken wollen. Mit den aggressiven Gefühlen umzugehen, gehört zu Ihrem erzieherischen Alltag. Doch bei Kindern, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, können der Zorn oder die Wut besondere Qualitäten zeigen, die über die Alltagserfahrungen hinausgehen:

  • Manchmal ist der Zorn maßlos. Die Verletzung, die den traumatisierten Kindern zugefügt wurde, war auch maßlos. Also hat auch der Zorn dagegen kein Maß.
  • Der Zorn dieser Kinder ist häufig mit Hilflosigkeit gepaart. Denn in dem traumatischen Geschehen waren die Kinder auch hilflos. Oft führen dann Zornesausbrüche dazu, dass die Kinder »sich nicht mehr einbekommen«, also nicht mehr aufhören können und nicht beruhigt werden können. Auch die Erzieherinnen werden hilflos und spüren das gleiche Gefühl, das den Kindern innewohnt.
  • Wenn Kinder in einer Kita zum Beispiel miteinander kämpfen und Indianer oder Cowboy spielen, dann gehört das oft zum Alltag. Doch wenn Flüchtlingskinder, die traumatisiert sind, sich an diesem Spiel beteiligen, dann mag dies äußerlich ähnlich ablaufen wie bei anderen Kindern, doch die Atmosphäre wird eine andere, sie wird ernst, sie wird gewalttätig. Es entsteht eine Atmosphäre des Krieges. Sie als Erzieher/in und oft auch andere Kinder spüren, dass es hier um mehr geht: um Leben und Tod. Dies zu registrieren ist wichtig.

Die Quelle all dieser Gewalt, ob Ausbrüche oder Formen aggressiver Gefühlsäußerungen, liegt in der traumatischen Erfahrung und vor allem darin, dass die Kinder so alleine und hilflos waren. Um dieser traumabedingten Aggressivität »das Wasser abzugraben«, ist es notwendig, an dem Kern anzusetzen und den Kindern immer wieder Schutz und Fürsorge anzubieten: »Ich bin für dich da.«, »Du bist nicht allein.«, »Ich passe auf dich auf.«… Dessen ungeachtet müssen auch diese Kinder gestoppt werden, müssen Regeln eingehalten werden, müssen Sie sich selbst und die anderen Kinder vor Verletzungen schützen. Zwischen dem Grenzen-setzendem Einschreiten und der fürsorgenden Unterstützung darf es kein »entweder – oder« geben, sondern ein großes UND!

Eine weitere Hilfe, um die Quellen der Zornesausbrüche und Gewaltattacken trocken zu legen, sind Erfahrungen der Wirksamkeit. Wenn Kinder greifen und mit ihren Händen etwas gestalten können, wenn sie mit Pappmaché oder Holz bauen oder bei Alltagstätigkeiten helfen können, dann baut sich ihr Gefühl von ohnmächtiger Wirkungslosigkeit allmählich ab. Dann können in der Folge bei den meisten Kindern die Zornesausbrüche schwächer und seltener werden.

But last not least: Die Kinder müssen immer wieder hören: »Du bist gut, du bist ok, ich schätze dich, ich mag dich.« Denn daran zweifeln sie nach ihren traumatischen Erfahrungen. Weil ihr »Nein« nicht gehört wurde, ist auch ihr Selbstwertgefühl gestört oder gar zerstört.

Der Zorn ist nicht das Problem, sondern die Maßlosigkeit und die Hilflosigkeit! Dies zu verstehen und Erfahrungen der Wirksamkeit und Stärkung des Selbstwertgefühls helfen.

 

Weitere Artikel dieser Serie: << Was tun bei »seltsamen« Gefühlen traumatisierter Kinder?, Teil 2: AngstWas tun bei seltsamen Gefühlen traumatisierter Kinder?, Teil 4: Misstrauen >>

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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