Warum komme ich hier nicht an, obwohl ich mich so sehr anstrenge?

Im Rahmen unser kommenden Buchveröffentlichung „Flucht und Trauma – Wie wir traumatisierten Flüchtlingen wirksam helfen können“ begegneten meiner Frau und mir in Veranstaltungen zum Thema wiederholt ähnliche Fragen, deren Beantwortung wir hier und in den kommenden 2 Beiträgen teilen möchten.

Eine Frau meldet sich auf einer Diskussionsveranstaltung und richtet die Frage an uns:

Was soll ich tun? Ich bin jetzt seit sieben Jahren hier in Deutschland und anerkannte Asylantin. Meine Familie auch. Ich spreche gut Deutsch. Man hat mir gesagt, dass ich besser Deutsch spreche als manche andere. Ich tue alles, ich versuche alles, um eine gute Deutsche zu sein, um hier gut anzukommen. Doch ich fühle mich immer noch fremd, und es geht mir so, als wäre ich hier nicht wirklich angekommen.

Dabei strenge ich mich doch so an. Ich mache alles, was man mir sagt und auch alles, was mir einfällt, aber irgendwie bleibe ich fremd. Irgendwie ist da immer etwas dazwischen. Was soll ich tun? Was können Sie mir raten?

Wir antworten:

Als erstes fällt uns unsere Hochachtung für Ihre bisherige Lebensleistung ein. Wir möchten Ihnen ein Kompliment machen. Wir halten es für großartig, dass Sie intensiv darum bemühen, die deutsche Sprache zu lernen, deutsche kulturelle Besonderheiten zu verstehen und sich zueigen zu machen und Kontakte und Begegnungen zu den Menschen hier in diesem Land zu suchen. Es ist großartig, dass Sie sich große Mühe geben, in Deutschland eine neue Heimat zu finden, und wir sind froh darüber, dass Sie zu den Menschen gehören, die sich aktiv darum bemühen, sich in ihrer Umgebung eine neue Heimat zu schaffen.

Und doch bleibt etwas „dazwischen“, bleiben Sie sich etwas fremd, fühlen Sie sich fremd, wie Sie sagen. Und damit kommen wir zum zweiten Teil unserer Antwort. Was Sie zum Ausdruck bringen, schildern uns viele Menschen, die wie Sie ehemalige Flüchtlinge sind und einen Ausweg aus dem bleibenden Gefühl des Fremdseins suchen. Die Ursache dafür liegt nicht darin, dass Sie und diese Menschen sich nicht genug anstrengen. Ihre Fremdheit, oder zumindest die Reste der Fremdheit, können sicherlich auch darin gegründet sein, dass es Fremdenfeindlichkeit in Deutschland, rassistische Vorbehalte, Vorurteile gegen die Menschen gibt, die anders aussehen und aus einem anderen Kulturkreis stammen. Um solchen Abwertungen und Kränkungen entgegenzutreten, brauchen Sie andere Menschen, die mit Ihnen solidarisch sind und deutlich zeigen, dass sie diese Ausgrenzung nicht dulden.

Doch das ist es sicherlich nicht nur. Wer wie Sie aus einem anderen Land geflohen ist, hat unweigerlich etwas Fremdes an sich und in sich. Da gibt es Unterschiede, die weder wegzuwischen noch wegzuhobeln sind. Das betrifft nicht nur Menschen aus Afrika, Afghanistan oder dem Nahen Osten. Und ohne uns auf die Diskussion von fremd, fremder, am fremdesten einlassen zu wollen: Von einer solchen Fremdheit berichteten auch viele Menschen, die aus der ehemaligen DDR in den Westen gekommen sind, aus Schlesien nach Bayern oder aus der BRD nach Österreich oder in die Schweiz. Sie beruht einfach auf Unterschieden in dem, was einem selbstverständlich ist, Unterschieden in kulturellen Eigenheiten, Gewohnheiten. Diese Unterschiede sind nicht durch Spracherwerb einzuebnen. Sie sind vorhanden.

Wir haben oft beobachtet, dass es erleichtert, diese Unterschiede als Unterschiede zu konstatieren und anzuerkennen. Wer wie Sie als Flüchtling in unser Land gekommen ist oder kommt, aus welcher Weltgegend auch immer, ist anders und hat andere Erfahrungen als viele Menschen in Deutschland. Dieses Anderssein ist kein „Schlechter-Sein“. Wir würden uns wünschen, dass dieses Anderssein gewürdigt wird als eigene Erfahrungen, als Besonderheiten, die Menschen innewohnen und die sie mitbringen. Wir wünschen uns, dass diese Besonderheiten als Bereicherung, als wertvolles Eigenes angesehen werden und Ansehen genießen. Sich zu bemühen, sich in Deutschland zu integrieren, darf nicht bedeuten – diese Forderung richtet sich eher an die deutsche Gesellschaft als an Sie –, die eigenen Erfahrungen, die eigenen Selbstverständlichkeiten, die eigene Kultur völlig über Bord zu werfen. Das darf weder notwendig noch kann es gelingen.

Da Heimat das ist, was selbstverständlich ist, wo Menschen sich nicht erklären müssen, wo sie sein können, wie sie sind, ist Ihre Möglichkeit, eine neue Heimat zu schaffen, nur eine relative. Dies zu akzeptieren, erleichtert viele Menschen.

Sie sagen, dass Sie sich anstrengen. Dass Sie sich bemüht und auch angestrengt haben, ist wunderbar. Doch jetzt reicht es, jetzt ist es gut so, wie es ist. Sie können weder die Fremdenfeindlichkeit abschaffen noch alle kulturellen Unterschiede überwinden. Sie sind willkommen, so wie sie sind. Nicht von allen, aber von vielen. Das Wort ,anstrengen’ enthält das Wort ,Strenge’. Seien Sie nicht so streng mit sich. Sie haben viel geschafft. Vielleicht steht es jetzt an, ein wenig von der Strenge loszulassen und das Leben mehr zu genießen? Wir würden uns freuen, wenn Sie nach Menschen Ausschau halten, die gerne mit Ihnen das Leben genießen wollen.

About Udo Baer und Gabriele Frick-Baer

Udo Baer Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Geschäftsführer und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor Gabriele Frick-Baer Dr. phil. (Erziehungswissenschaften), Diplom-Pädagogin, Kreative Leibtherapeutin AKL, Vorstandsmitglied der Stiftung Würde und wissenschaftliche Leitung der Kreativen Traumahilfe der Stiftung Würde, Kreative Traumatherapeutin, Autorin

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