Trauma und der Sinn

Traumatische Erfahrungen werfen bei vielen Menschen Sinnfragen auf. Ein Trauma ist Ausdruck einer existentiellen Bedrohung und diese produziert die Frage nach dem Wofür und Wie der Existenz: Was ist in meinem Leben wirklich wichtig und was nicht? Die Beantwortung der Frage nach dem Sinn des Lebens ist für viele mit einem Bilanzieren verbunden: Was war im Rückblick meines Lebens gut und was nicht? Was war wichtig und was war belanglos? Was hätte ich gern anders gemacht? Was würde ich wieder so machen? … Es ist gut, sich diesen Fragen zu stellen und zu versuchen, sie zu beantworten. Das braucht Zeit. Antworten auf Sinnfragen gelingen nicht auf die Schnelle und sie können meistens nicht allein gefunden werden. Es ist notwendig, sich mit anderen Menschen darüber auszutauschen, mit Menschen, denen man vertraut.

Häufig taucht auch die Frage auf: Was war der Sinn des Schreckens, den ich erleben musste? Manche Menschen finden Antworten, die aber oft sehr konstruiert sind und sie selbst nicht wirklich überzeugen. Eine Frau erzählte zum Beispiel von der Antwort, die sie sich auf diese Frage gegeben hat: „Damit ich besser auf mich aufpasse!“ Doch sie sagte dies mit einem Zweifel in der Stimme, denn sie war eine kluge Frau und sie hätte auch besser auf sich aufpassen können, ohne den Schrecken der Gewalt zu erleben, dem sie ausgesetzt war. Meistens sind die schlimmen Erfahrungen eines traumatischen Ereignisses unsinnig und widersinnig. Welchen Sinn soll es haben, ein Kind zu quälen oder ein Nachbarland zu überfallen? Welcher Sinn soll darin bestehen, Millionen Menschen in KZs zu sperren und zu ermorden? Welcher Sinn kann dem Hochwasser innewohnen, das Menschen tötet und Häuser zerstört? – Man könnte sagen: „Damit wir Menschen mehr auf die Natur achten.“ Oder: „Damit wir mehr uns schützen und mehr für den Frieden eintreten!“ Doch all das kann auch geschehen ohne diese schlimmen Ereignisse, ohne dass Menschen zu Schaden kommen oder getötet werden.

Es gibt Unsinniges und Widersinniges auf der Welt. Das ist so unfassbar, dass manche Menschen, nein, dass wir Menschen geneigt sind zu versuchen, dem noch einen Sinn zuzuordnen. Doch letzten Endes ist das vergeblich. Im Extremfall können wir sogar schlimme Taten damit in irgendeiner Weise sogar einen Anschein von Rechtfertigung geben, auch wenn dies keines der Opfer beabsichtigt.
Etwas anderes ist es, wenn Opfer und Zeugen traumatisierender Gewalterfahrungen Unsinniges in ein sinnhaftes Handeln verwandeln. Einen verbrecherischen Überfall auf ein anderes Land können wir Menschen zum Anlass nehmen, für den Frieden einzutreten und für die Menschenrechte, uns gegen Aggressoren und Unterdrücker zu wenden. Naturkatastrophen können zum Ausgangspunkt für ein Handeln im Sinne des Klimaschutzes und der Rettung der Natur vor uns Menschen werden. Individuelle Gewalttaten wie sexualisierte Gewalt oder Schläge, zum Beispiel gegen Kinder, können der Anlass für Aktivitäten sein für die Kinderwürde und für die Menschenrechte. Das traumatische Geschehen erhält dadurch nachträglich keinen Sinn, aber wir können Mist in Dünger verwandeln und Schlimmes in Gold.

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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