Fremdsein und Trauma (2) „ Ich bin mir fremd „

Wer sexuelle Gewalt oder andere traumatische Erfahrungen erleben musste, fühlt sich wie „aus der Welt gefallen“. „Ich bin nicht mehr derselbe Mensch wir vorher“, sagt eine Frau und fährt fort: „Ich bin mir fremd.“

Dieses „Sich-Fremd-Sein“ kann mehrere Wurzeln haben, muss nicht nur in traumatischen Erfahrungen begründet sein. Aber traumatischen Erfahrungen, wenn die betroffenen Menschen keine Unterstützung erhalten und Trost finden, führen oft zu diesem Fremdheitsbefinden. Es ist nicht mit den ominösen „Täter-Introjekten“ zu erklären, sondern damit, dass durch den traumatischen Schrecken und die existenzielle Bedrohung das Zuhause-Sein in der eigenen Person geschädigt oder zerstört wurde. Wer „aus der Welt fällt“ und nicht mehr in sich wohnt, muss sich fremd fühlen.

Dieses Befinden hat nichts damit zu tun, dass fremde Menschen oder fremdes Verhalten den Opfern traumatisierender Gewalt begegnet. Was ihnen widerfahren ist, ist, dass sie durch eine „fremdartige“ existenziell bedrohliche Gewalt aus ihrem erlebten Zuhause-Sein in ihrer selbstverständlichen Welt gestoßen wurden.

Das Gegenteil, des Sich-fremd-Seins ist das In-sich-Wohnen.[1]

[1] Baer, U.; Frick-Baer, G.: Vom Fremd-Sein zum In-sich-Wohnen. Beltz

Weitere Artikel dieser Serie: << Fremdsein und Trauma (1): Das Fremde zwischen Angst und SehnsuchtFremdsein und Trauma (3): „Die anderen sind anders“ >>

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

Ein Kommentar zu “Fremdsein und Trauma (2) „ Ich bin mir fremd „

  1. Dieser Sicht auf den Umgang mit traumatisierten Menschen ermöglicht mehr Nähe und viel mehr kunsttherapeutische Möglichkeiten mit einem positiv besetzten Ausgangslage.
    Ich persönlich würde zb. auch viel lieber arbeiten an „das in mich wohnen“ als an „Täterintrojekten“.
    Herzlichen Dank für den Input

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