Erinnern und Gedenken

Auf dem kürzlich stattgefundenen evangelischen Kirchentag in Berlin wurde darüber diskutiert, was Erinnern und Gedenken unterscheidet. Meine Antwort auf diese Frage lautet:

Erinnern ist ein offener Prozess des Erlebens. Wir erinnern uns mit unserem Denken und Fühlen. Wir können uns bewusst an etwas erinnern (das lernen wir in der Schule) und wir werden von Erinnerungen überfallen, manchmal überflutet (wie bei traumabedingten Flashbacks). Es gibt Erinnerungen, die gut tun, und solche, die uns schmerzen …


Gedenken dagegen ist ein Haltung der Würdigung. Wir erinnern uns nicht nur an ein Geschehen, sondern wir würdigen es. Das ist keine Angelegenheit von Gedenkstätten. Diese können als „amazing“ und als Ort, an dem man „Freunde treffen“ kann, bezeichnet werden, wie Donald Trump in das Gästebuch der Holocaust-Gedenkstätte in Israel schrieb, oder als Orte behandelt werden, die der Ehre und dem Ehren der Opfer und ihres Leidens dienen. Gedenken ist nicht in erster Linie eine Frage der Orte, sondern eine Haltung.
Das ist der Unterschied.

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

4 Kommentare zu “Erinnern und Gedenken

  1. Den Hinweis auf Donald Trump verstehe ich nicht. Das was ich aus der Presse entnommen habe, war sein Beitrag in Yadva Shem eher peinlich als ein würdiges Gedenken.

  2. Sehr geehrter Herr Baer,

    erinnern alleine reicht nicht.
    Gedenken ist eine Frage der Haltung. So verstehe ich Ihre Aussage. Beide Begriffe sind also wertneutral.

    Erinnern wir uns an Auschwitz (einen Ort) und gedenken wir des Leidens (der Opfer), wie aber wird dann erreicht, daß durch die Erinnerung die eigene Haltung reflektiert und korrigiert wird, bzw. sich überhaupt eine Wertehaltung entwickelt.

    Wird durch die Konfrontation mit Auschwitz (oder mit anderen Vernichtungslagern ein (heilsamer) Schock ausgelöst, der eine Korrektur der Haltung bewirkt?

    Der sich nun abzeichnende Trend, der politisch Verantwort-lichen den holocaust stärker in die öffentliche Diskussion einzubringen, dient – meiner Wahrnehmung nach – dem Zweck faschistoide und faschistische Denktraditionen zu bekämpfen, etwas, was über Jahrzehnte von den hierfür politisch Verantwortlichen versäumt wurde.

    Halten Sie es für legitim, das Leid der Opfer dafür zu instrumentalisieren? Und wird den Opfern dadurch nicht schon wieder ein Teil ihrer Würde geraubt?

    Mit freundlichen Grüßen

    Neithard Dahlen
    stellvertr. Vorsitzender
    Lagergemeinschaft Auschwitz – Freundeskreis der Auschwitzer e.V.
    Abt-Möhler-Str.19
    35510 Butzbach
    06033-4952
    0172-6642597
    neithard.dahlen@googlemail.com

    • Sehr geehrter Herr Dahlen,
      Ihre Frage ist berechtigt. Meine Meinung ist: Wenn die Erinnerung an das Leid der Opfer dazu beiträgt, künftiges Leid zu verhindern oder zu verringern, dann ist das gut. Und nicht unbedingt eine Instrumentalisierung. Doch dazu bedarf es einer Reflexion und emotionalen Auseinandersetzung, die die Haltung verändern kann. Ich habe diese Erfahrung mit Jugendlichen, die sich als Faschisten bezeichnet hatten, bei Besuchen in Auschwitz gemacht.
      Auf das Wie kommt es an. Eine würdigende Haltung den Opfern gegenüber kann die Würde aller stärken.

      • Sehr geehrter Herr Dr. Baer,

        gerade eben erst habe ich Ihre Antwort gelesen. Haben Sie herzlichen Dank dafür, das hat mir geholfen.

        Ihnen wünsche ich weiterhin viel Erfolg
        mit freundlichen Grüßen

        Neithard Dahlen

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