Der traumatische Prozess bei Flüchtlingen (Teil 1): Erfahrungen im Heimatland

Die Anlässe für traumatisierende Erfahrungen sind vielfältig. Viele fliehen vor Krieg und Bürgerkrieg, zum Beispiel in Syrien, in Somalia, im Irak, in Afghanistan, in Libyen und anderen afrikanischen Ländern.

Natascha erzählt:

„Ich komme aus Dagestan. Das ist eine Republik neben Tschetschenien. Ich bin Tschetschenin. Dort leben vielen von uns. Ich war nie politisch aktiv, habe immer als Lehrerin gearbeitet. Doch dann geriet ich zwischen die Fronten. Die Rebellen haben mir vorgeworfen, dass ich arbeite, obwohl ich eine Frau bin, und dass ich an einer russischen Schule bin und so weiter und die Regierung hat mir als Tschetschenin sowieso misstraut und uns immer wieder schikaniert. Das war ganz lange wie ein Bürgerkrieg ohne Schüsse und dann kamen die Schüsse und die Bomben und die Explosionen. Be einer Schießerei geriet mein Mann zwischen die Fronten und wurde erschossen. Ich nahm meine Kinder und floh, erst nach Russland und dann über Finnland nach Deutschland. Ich liebe mein Land, ich liebe meine Heimat, doch ich will nie wieder dahin zurück.“

Viele Regierungen – nicht nur in den von Krieg und Bürgerkrieg betroffenen Ländern – sind autoritär und verfolgen politisch Andersdenkende.

„Ich lebte im Iran und arbeitete dort als Ingenieur. Als ich eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, fing mich ein Nachbar ab und warnte mich, dass in meiner Wohnung die Revolutionsgarden warteten, um mich zu verhaften. Ich hatte mich irgendwann einmal kritisch zur Regierung geäußert und einen Witz darüber gemacht, dass die Wahlen als ‚freie’ Wahlen bezeichnet wurden. Als ich von dem Nachbar gewarnt wurde, lief ich sofort weg und ging aufs Land zu entfernten Verwandten. Auch dort drohte man, mich aufzuspüren und deswegen floh ich ins Ausland und bin über viele Umwege endlich in Deutschland gelandet. Ich weiß, dass meine Kinder bei Verwandten leben. Meine Frau ist anscheinend eingesperrt worden. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist.“

Zur politischen Verfolgung gesellt sich die religiöse. Christen werden von Moslems verfolgt, Moslems von Christen, Sunniten von Schiiten und umgekehrt, radikale Sunniten von gemäßigten, gemäßigte vor allem von radikalen, Yesidi von allen. Es gibt kaum einen religiösen Unterschied, der nicht auch in Verfolgung münden kann und Menschen in die Flucht treibt.

Doch auch andere Quellen traumatischer Erfahrungen in den Heimatsländern werden berichtet.

„Ich komme aus Eritrea“, erzählt ein junger Mann. „Wenn man dort zum Militär eingezogen wird, dann dauert das nicht nur ein oder zwei Jahre wie in anderen Ländern, sondern lebenslänglich. Man wird geschlagen, man hungert und man wird als Kanonenfutter verheizt. Zwei von meinen besten Freunden sind beim Militär gelandet. Und als ich auch eingezogen werden sollte, floh ich. Was ich gehört hatte, hat mich so erschrocken. Unser Land ist jung und aus Krieg entstanden und immer noch im Krieg und im Bürgerkrieg. Und es gibt Stammeskriege … Zum Militär gehen in Eritrea, das heißt adé sagen zum Leben, bereit sein zum Sterben.“

Viele Menschen werden verfolgt, weil sie Frauen sind oder Mädchen. Zum Beispiel:

„Ich komme aus Nigeria. Die Eltern meines Mannes und auch meine Eltern haben beschlossen, dass unsere Tochter beschnitten werden muss. Da habe ich sie genommen und auch meinen Sohn und bin geflohen.“

Eine andere Frau erzählt: „Ich finde, dass auch Mädchen Lesen und Schreiben lernen sollen. Dass sie es zumindest dürfen. Wenn sie es nicht wollen, dann ist ja gut, aber viele wollen es auch, wollen auch Zeitung lesen, wollen auch ihren Namen schreiben können und nicht nur den Daumenabdruck machen. Bei uns sind die Schulen geschlossen für die Mädchen. Das ist nicht überall in Libyen so, aber in der Gegend, wo ich bin, da setzen die Milizen das durch. Ich habe dann heimlich Mädchen unterrichtet und versucht, ihnen das Schreiben und Lesen beizubringen. Und dann kamen die Milizen und haben uns abgeholt. Als sie uns vergewaltigen wollten, gelang es mir, zu fliehen. Gott hat mich beschützt …“

So vielfältig die traumatisierenden Erfahrungen in den Heimatländern sein mögen, sie haben immer existenzielle Bedrohungen zur Folge. Solche Bedrohungen sind Anlass der Flucht. Meist gab es noch eine Zeit vor diesen Ereignissen, die geprägt war von Ängsten, von Furcht vor Gefängnis, Verletzung, Tod.

Weitere Artikel dieser Serie: Der traumatische Prozess bei Flüchtlingen (Teil 2): Die Schrecken der Flucht >>

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

Ein Kommentar zu “Der traumatische Prozess bei Flüchtlingen (Teil 1): Erfahrungen im Heimatland

  1. Ja, es ist sehr sehr schlimm wie Menschen in anderen Ländern erniedrig werden, damit sich andere größer und stärker fühlen.

    Das einzige was dagegen hilft ist Wissen, Bildung und Aufklärung.

    Leider sind solche Berichte wie wahr Sie sind schwer nachprüfbar, besonders wenn keiner ihre Sprache versteht.

    Das Wissen besonders auch die Täter / Schwindler und Betrüger und Sie reihen sich in die selbe Schlange ein, wo auch deren Opfer stehen und bieten um Asyl.

    Vom Gefühl her sind dabei die Betrüger erfolgreicher als die Opfer damit, beim beantragen auf Asyl.

    Ein schwer zu lösendes Problem.

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