Bleiben oder zurückkehren?

Anknüpfend an den Beitrag letzter Woche hier ein Beitrag zu einem Konflikt, der uns im Rahmen unser kommenden Buchveröffentlichung „Flucht und Trauma – Wie wir traumatisierten Flüchtlingen wirksam helfen können“ oft begegnete und beschäftigte.

Für viele Flüchtlinge ist klar, dass sie in Deutschland bleiben wollen. Sie beabsichtigen, sich hier niederzulassen und einzurichten. Andere wollen wieder in ihr altes Heimatland zurück, wenn sich die Verhältnisse dort ändern.

Viele der Flüchtlinge schwanken zwischen Hierbleiben und Zurückkehren. Hierfür ein Beispiel:

„Jetzt bin ich seit drei Jahren hier. Ich habe schnell Deutsch gelernt. Ich war immer sicher, dass ich hier bleiben will und nicht zurück. Solange es dort Krieg gibt, ist daran gar nicht zu denken. Ich denke, dass ich hier bleiben muss und dass ich hier bleiben will und dass ich mir hier eine Heimat schaffe und eine Familie und alles mehr. Doch dann bekomme ich wieder Sehnsucht. Ich liebe meine Heimat. Ich liebe den Sudan und ich möchte helfen, dass er wieder aufgebaut wird, wenn dort Frieden herrscht. Aber ob das jemals sein wird, weiß ich nicht. Mein Herz ist hin und her.“

Dieser Konflikt beschäftigt viele Flüchtlinge und das nicht nur über einen kurzen Zeitraum, sondern oft sehr lange. Oft reden sie mit anderen nicht darüber, so dass es für sie schon eine Erleichterung ist, diese Fragen, die sie sich selbst stellen, überhaupt auszusprechen. Wenn Sie als Begleiter oder Begleiterin von Flüchtlingen in diese Frage „bleiben oder gehen?“ eingebunden werden, dann setzen Sie weder die Flüchtlinge noch sich selbst unter Druck, sie beantworten zu müssen. Im Gegenteil, nehmen Sie eher den Druck heraus, so gut es geht. Denn für die meisten Flüchtlinge, die sich mit dieser Frage auseinandersetzen und eine freiwillige Entscheidung treffen könnten, gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Antwort. Diese Frage ist Ausdruck ihrer Heimatlosigkeit oder ihres Schwankens zwischen alter und neuer Heimat. Die entscheidende Unterstützung besteht nicht darin, Antworten zu finden, sondern zuzuhören, die Frage ernst zu nehmen, das Hin und Her, das Schwanken als „normal“ zu respektieren, zuzuhören, mitzudenken und mitzureden. Wenn Flüchtlinge hören, dass ihr Schwanken und ihre Fragen berechtigt sind und dass es schwierig ist, darauf Antworten zu finden, dann ist dies schon eine große Erleichterung und Unterstützung.

Ernst zu nehmen und in der Auseinandersetzung mit der Frage „zurückkehren oder bleiben“ zu beachten, sind die Auswirkungen, die dieses an sich verständliche Schwanken auf die Kinder hat. Die Unsicherheit der Eltern überträgt sich auf die Kinder und führt zu manchmal starken Verunsicherungen. Sie wissen nicht, woran sie sind, vor allem dann, wenn diese Verunsicherung über einen längeren Zeitraum anhält. Viele Kinder wissen dann oft nicht mehr, wer sie sind und wohin sie gehören. Sie fühlen sich, als würden sie „auf gepackten Koffern“ sitzen und dass jederzeit eine neue Flucht anstehen könnte. Das wissen wir auch aus den Erzählungen von Kindern deutscher Flüchtlinge oder Vertriebenen infolge des zweiten Weltkriegs.

Wenn Sie als Begleiter oder Begleiterin die Möglichkeit haben, mit erwachsenen Flüchtlingen über die Frage, zurückkehren oder bleiben, in ein Gespräch zu kommen, dann nutzen Sie die Chance, darauf hinzuweisen, dass die Kinder von ihrer Lebensplanungs-Unsicherheit etwas mitbekommen, auch wenn die Eltern darüber nicht offen vor den Kindern sprechen. Im Gegenteil: gerade wenn Eltern etwas zurückhalten, verheimlichen oder ersparen wollen, spüren die Kinder das Problem deutlich. Kinder bekommen viele Gefühle der Eltern mit, so diffus sie auch sein mögen, und machen sie zu ihren. Deswegen empfehlen wir, an erwachsene Flüchtlinge weiterzugeben, möglichst offen mit den Kindern über das Thema zu reden. Vielleicht können Sie vorschlagen, den Kindern zu sagen: „Wir haben Sehnsucht nach der alten Heimat – wie ihr vielleicht auch –, aber jetzt sind wir hier, und jetzt richten wir uns hier ein. Wenn sich daran etwas ändert, dann sprechen wir mit euch.“

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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