Achtsamkeit und traumatische Erfahrungen, Teil 2: Akzeptanz!?



 

 

 

In einem Achtsamkeitsbuch heißt es: „Akzeptanz ist die für Achtsamkeit charakteristische wohlwollende Haltung allen Erfahrungen gegenüber. Dabei wird nichts bewertet und nichts abgelehnt. Man will auch nichts verändern und nichts anders haben, als es ist. Im Rahmen der Achtsamkeitspraxis wird diese Haltung der Akzeptanz nach innen im Selbstbezug, aber auch nach außen gegenüber der Umwelt geübt.“ (Weiss, H. et al: 2016. Das Achtsamkeitsbuch. Stuttgart. Seite 252). Diese Haltung ist charakteristisch für alle buddhistisch beeinflussten Achtsamkeitsangebote. Wir teilen sie nicht.

Sicherlich: Wenn mit Akzeptanz gemeint ist, dass wir akzeptieren sollten, dass wir bestimmte Erfahrungen gemacht haben und dass diese ein Teil des Lebens sind und uns immer noch beeinflussen, dann ist das richtig. Wir nennen diese Haltung: Würdigen, was ist. Auch traumatische Erfahrungen sind ein Teil des Lebens der Betroffenen und es gelingt auf Dauer nicht, sie zu ignorieren oder zu verdrängen. Zu akzeptieren, dass es sie gibt, ist hilfreich und notwendig.

Doch mit einer Akzeptanz im zitierten Sinn ist eine „wohlwollende Haltung allen Erfahrungen gegenüber“ gemeint. Das ist eine Bewertung. Menschen mit traumatischen Erfahrungen können gegenüber dem Grauen, das ihnen zugefügt wurde, keine wohlwollende Haltung haben. Das sollten sie auch nicht. Sie sind verletzt worden, zutiefst verletzt worden. Sie haben das Recht, diese Erfahrung abzulehnen. Mit solchen Erfahrungen den Frieden zu suchen, gelingt vielleicht nach langen therapeutischen Auseinandersetzungen damit. Das haben wir beobachtet. Doch kann es keine grundsätzliche Forderung sein und keine Haltung der Achtsamkeitsarbeit bilden. Menschen mit traumatischen Erfahrungen wollen etwas verändern, nämlich das Leiden, das ihnen zugefügt wurde, die Folgen der schlimmen Erfahrungen. Diesen Menschen zu sagen, dass man durch die Akzeptanz in der Achtsamkeitsarbeit „nichts verändern und nichts anders haben“ möchte und sollte, ignoriert das Leiden. Im Gegenteil: Wir müssen sie in ihrem Wunsch der Veränderung unterstützen.

Dazu gehört das große UND. Zu akzeptieren, dass es Leiden gibt UND zu sehen und anzunehmen, dass es auch andere Aspekte gibt, nämlich das Überleben, die Lebensfreude und -kraft.

Dazu gehört auch die eigene und fremde Parteilichkeit gegenüber den Tätern/innen und ihren Taten.

Dazu gehört auch, dass Wunden Wunden sein dürfen, dass Schmerz als solcher empfunden werden kann.

Wenn das akzeptiert wird, können Achtsamkeitseinheiten sehr dazu beitragen, das eigene Erleben, die Körperlichkeit, die Sinne und die Sinnlichkeit zu entdecken und zu stärken. Als Haltung des UND.

Kommt in den Therapien mit den traumatisierten Klienten/innen der Zeitpunkt, wo sie sich „genug“ mit den Taten und den daraus folgenden Leiden auseinandergesetzt haben, dann sind sie oft bereit, diese Erfahrungen einzuordnen und ihnen in ihrer Geschichte einen Platz zu geben. Dann kann die grundsätzliche Akzeptanz ihres Lebens und Erlebens mehr Raum gewinnen. Dann, aber erst dann.

Weitere Artikel dieser Serie: << Achtsamkeit und traumatische Erfahrungen, Teil 1: Trigger!?

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

Ein Kommentar zu “Achtsamkeit und traumatische Erfahrungen, Teil 2: Akzeptanz!?

  1. Ja, da stimme ich zu: Würdigen, was ist (auch den Schmerz, die Beeinträchtigung, das Schwierig der eigenen Situation), aber genauso der Protest gegen das, was niemals hätte SO passieren sollen. Etwa so: „Das Schlimme ist passiert –
    … und es war NICHT OK
    … und heute sorge ich gut für mich
    … und ich kenne noch vieles andere als dieses Leid“.

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