Wenn Blicke nicht aushaltbar sind…

Menschen, die traumatische Erfahrungen machen mussten, werden oft von Blicken „getriggert“, das heißt, dass Blicke anderer Menschen die leibliche Erinnerung an Traumata, z. B. sexuelle Gewalt auslösen. Für sie sind Blicke oft nicht aushaltbar, da Augenkontakt mit Hilflosigkeit und Opfersein verbunden ist. Sie haben vielleicht die Erfahrung, von Tätern „ausgeguckt“ worden zu sein – unbefangener Blickkontakt ist für sie dann meist unerträglich.

Gleichzeitig spüren sie oft eine große Sehnsucht, gesehen zu werden – allerdings mit Respekt. Sie befinden sich folglich in einem Dilemma, sich nach Blickkontakt zu sehnen und ihn gleichzeitig nicht auszuhalten. Mit diesen Menschen hat sich ein Weg bewährt, den wir Fächertanz nennen. Er ermöglicht, mit Hinschauen und Wegschauen, Sich-Verstecken und Sich-Zeigen zu spielen und so neue Erfahrungen mit Blicken zu machen.

Er geht so:
Nehmen Sie ein großes Blatt Papier und falzen Sie es immer abwechselnd nach vorn und nach hinten in Abstand von ca. einem Zentimeter. Wenn Sie das Papier dann zusammengefaltet an einer Seite festhalten und an der anderen auseinander ziehen, haben Sie einen Fächer in der Hand.
Sie können den Fächer, wenn Sie wollen, bemalen. Vielleicht mit Ihrer Seite, die Sie gerne zeigen, nach außen und mit der eher verborgenen, schutzbedürftigen Seite nach innen.
Und dann spielen Sie mit anderen, die ebenfalls einen Fächer haben: Sie zeigen sich und Sie verbergen sich … Mit Musik kann sogar ein Fächertanz daraus werden …
Sie können in den Fächer auch ein kleines Loch reißen. Dann können Sie sich hinter dem Fächer verbergen und gleichzeitig auf die andere Person schauen …

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

Ein Kommentar zu “Wenn Blicke nicht aushaltbar sind…

  1. Hallo, als erstes ein grosses Dankeschön. Es gibt in den letzten Jahren ein viel grösseres Verständnis von Trauma , und Internetseiten , wie die Ihre, tragen zu einem grossen Teil dazu bei. Und auch ein Dankeschön, dass sie dieses Wissen kostenlos zur Verfügung stellen.
    Der Blickkontakt ist eines der grössten Probleme für mich in sozialen Interaktionen. Das kuriose ist: je mehr ich verstehe, wieso es bei mir so ist, desto unangenehmer finde ich ihn. Und andere Menschen merken das, und ich wirke befremdlich, das kann ich spüren. Ich sehne mich so sehr nach einer verbindung, aber ich weiss, dass das über den augenkontakt geht, bei den meisten menschen. Und den kann ich nicht aufbauen. Meine grösster Wunsch, meine absolute lebensaufgabe ist es , zu erreichen , in sozialen begegnungen , da zu sein, ohne über den augenkontakt nachzudenken, und entspannt zu sein. Im moment muss ich mich immer entscheiden: augenkontakt möglichst natürlich wirken zu lassen, aber dann kann ich mich nicht auf gesagtes konzentrieren. Oder hinhören, aber ohne augenkontakt.
    Hinzu kommt , dass bei mir erst eine sehr starke kurzsichtigkeit vor der einschulung festgestellt wurde. Meine eltern sind meistens nur in notfällen mit uns zum arzt. Und mir wurde immer gesagt ich bilde mir alles nur ein. Ausserdem hat mich meine mutter ständig kontrolliert, ja im wahrsten sinne beobachtet. Und sie konnte mit blicken töten. Meinem vater musste ich immer vorm schreien und oder prügeln in die augen schauen.
    Dadurch fühle ich eher verbindung über stimme . In der stimme höre ich mehr über eine person heraus, als übers sehen.
    Ich weiss nicht wieso ich das alles schreibe. Aber ich bin jetzt 40 geworden und je älter ich werde erschrecke ich vor den auswirkungen einer lieblosen, gewalttätigen Erziehung. Wünsche allen betroffenen bereichernde erkenntnisse auf dem weg zu sich selbst.

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