Zwei Seelen in meiner Brust

Im Juni stellte die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs die Ergebnisse ihrer Untersuchungsarbeit vor. Über 1000 betroffene Menschen wurden befragt und erzählten von ihren Erfahrungen. Der „Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung“, Johannes Wilhelm Rörig, sagte: „Der Bericht ist tief erschütternd.“ Über manche Ergebnisse wurden in der Presse berichtet – genau einen Tag lang. Dann wieder Schweigen.

Meine Reaktion darauf ist äußerst zwiespältig. Eine der einen Seite finde ich es gut, dass wenigstens einen Tag lang in den Medien über die Leiden von Opfern traumatisierender Gewalt berichtet wird. Ich finde gut, dass 1000 Menschen die Geschichte ihres Leidens erzählen können und Gehör finden. Jedes Bisschen, das Schweigen bricht und Öffentlichkeit schafft, ist positiv.

Doch andererseits sagt eine Stimme in mir: Welche altbekannten Selbstverständlichkeiten werden da verkündet! Ja, Opfer leiden, ja, sexuelle Gewalt hat Folgen, ja, Traumatisierung wirkt lange nach, ja, auch das Schweigen der Mütter hilft den Tätern … usw. All das sagen die Opfer und die Traumahelfer/innen seit langem. Ungehört und unerhört. Und nun wird das als neue Erkenntnis verkündet! Anscheinend sind diese Einsichten und Ansichten immer noch nicht selbstverständlich. Das stößt mir bitter auf. Und außerdem: Was folgt daraus? Es gibt zu wenig Therapeut/innen. Viele Therapien traumatisierter Opfer werden abgelehnt. Viele Verfahren verlaufen im Sande, Es gibt noch kein Opferentschädigungsgesetz. Und so weiter. 1000 Menschen von Hunderttausenden werden gehört – aber ohne, dass Konsequenzen gezogen werden.

Die beiden Stimmen in mir stehen nebeneinander. Die letztere, die bittere, ist lauter. Doch auch die erste sagt: Wenigstens das!!!

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

Ein Kommentar zu “Zwei Seelen in meiner Brust

  1. An dieser Stelle eine Info zur „GROßARTIGEN UNTERSTÜTZUNG“ VON BETROFFEN durch die DEUTSCHE BUNDESREGIERUNG : :“Fonds sexueller Missbrauch: Das Familienministerium sieht momentan keinen Handlungsbedarf, die Antrags- und Bearbeitungsprozesse zu beschleunigen. Wenn die Politik sexuellen Missbrauch ernst nimmt, brauchen auch Betroffene dieser Gewalttaten schnelle und unbürokratische Hilfen. Und wenn das Projekt „Kein Täter werden“ für 5 Jahre mit 5. Mio pro Jahr von der GKV gefördert wird, kann man doch etwas Engagement im Opferschutz erwarten!?“
    Dazu dann noch, als eine Art Ergänzung, eine „lustige“ Grafik : Eine Frau steht am Grab eines Menschen und sagt: „Darling, dein Antrag beim Fonds Sexueller Missbrauch wurde bewilligt“, mit der zusätzlichen Info: Antragsstellung: März 2016; Bescheid : Februar 2018; Wartezeit: 23 Monate
    Quelle : Gegen- missbrauch e.V.( auf facebook ) – vom 21.02.2018. Ich bin gespannt , ob die Opfer von Sexueller Gewalt und die „Sonderbehandlungen“, die sich in einer vehementen und beständigen UNTERLASSENEN HILFELEISTUNG ausdrücken, mit denen sie ganz selbsverständlich bedacht werden, eine Erwähnung wert sind, wenn es am 09.April 2018 in der Berliner URANIA um die Thematik „Würde als Kompass für das Leben“ geht. Die Realität ist doch die folgende.: Sexuelle Gewalt an jungen Menschen ist hierzulande immer für eine Verhöhnung gut und bedarf selbstverständlich!! innerhalb des WERTE-Systems der Westlichen Wertegemeinschaft dann später ( wenn diese „Weicheier“, die nicht einmal eine kleine, simple Vergewaltigung in ihrer Jugend wegstecken können und einfach nicht ihren Mund halten können, um den Rechtsfrieden in Deutschland zu wahren – Ich kann aufgrund meiner jahrzehntelangen! Erfahrungen nur noch zynisch werden….- ) der beständigen UNTERLASSENEN HILFELEISTUNG, um die Täter auch weiterhin gut und bestens zu beschützen. Und diejenigen, die nicht einmal so eine simple Aushorch-Aktion wie die der „Aufarbeitungs“-Kommission, die die Betroffenen zu Geschichten-Erzählern/innen“ machte ( 2010 am Telefon ) und macht ( Oh wie poetisch ! , Oh wie bagatellisierend ! ), ohne eine Retraumatisierung überstehen, denjenigen sei gesagt.: Ihr werdet auch dann, nach erfolgreicher Retraumatisierung, keine Hilfe erhalten. Wenn sie es geschafft haben , euch erneut zu schädigen, werden sie euch zu den Tafeln schicken und ihr sollt ihnen dankbar sein, dass sie euch doch immerhin noch am Leben lassen. Ihr dürft die Lebensmittel-Reste verwerten, ihr dürft so eine Art Küchenschaben sein. Ja, das seid ihr dann noch wert. Die Täter/innen, die Mitttärer/innen, die Zuseher und Wegseher wird es erfreuen !. …

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