Trauma und Träume

Ich halte nichts davon, dass Gegenständen und Handlungen in Träumen bestimmte Bedeutungen zugewiesen werden. Jeder Traum ist oft verdeckter Ausdruck individuellen Erlebens, meist des unbewussten Erlebens. Also muss die Bedeutung jedes Traums individuell entschlüsselt werden.[1] Das gilt auch für das Trauma-Erleben, das sich möglicherweise in Träumen ausdrückt.

Doch zwei Hinweise möchte ich Ihnen geben, zwei Themen, die in Träumen traumatisierter Menschen wiederholt vorkommen.

Das erste Thema ist der Abgrund. Viele Menschen, die traumatischen Schrecken erfahren mussten, fühlen sich „aus der Welt gefallen“ oder gestoßen. Sie träumen, dass sie am Rande eines Abgrunds stehen oder in einen Abgrund stürzen. Ob sich der Abgrund zwischen zwei Hochhäusern auftut oder aus einer Schlucht in der Natur besteht, ist meist nicht wesentlich.

Das zweite Thema besteht darin, dass Menschen einen Zug nicht erreichen oder ein Auto, einen Bus … Manche kommen zu spät, andere werden gehindert und aufgehalten, bei anderen fährt der Zug in die falsche Richtung oder fällt aus. Sie erreichen ihn nicht. Mit dem Zug oder anderen Fahrzeug wollen die Träumenden meist zu einer Person, die sie lieben oder geliebt haben, zu einer Person ihres Vertrauens. Nach einem traumatisierenden Ereignis bekommen die meisten Menschen keine oder zu wenig Unterstützung, können keine Hilfe erreichen. So, wie sie den Zug nicht erreichen …

Beide Themen können auch anderen Quellen des Erlebens als einer traumatischen Erfahrung entspringen. Doch bei diesen Träumen scheint es nach meinen Erfahrungen lohnenswert zu sein, der Spur eines möglichen Traumas nachzugehen.

Diesen Hinweis will ich Ihnen geben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

[1] Hinweis auf das neue AKL-Journal, Heft über Träume …

Zeugen sind wichtig!

Dieser Artikel ist Teil 3 von 3 der Artikel-Serie Beiträge

 

 

 

In viele Situationen, in denen Menschen traumatisierende Gewalt erfahren, sind sie damit allein und es gibt keine Zeugen, vor allem bei sexueller bzw. sexualisierter Gewalt oder anderen Taten vor allem im familiären Raum. Wenn es Zeugen gibt, z.B. bei Gewalttaten auf der Straße oder in Gaststätten, auf dem Fußballplatz oder auf Konzerten, ist oft zu beobachten, dass viele Menschen die Taten mitbekommen, sich aber nicht als Zeug*innen zur Verfügung stellen. Sie fürchten Ärger und Aufwand. Sie ducken sich weg und befriedigen vielleicht ihre Neugier oder gar ihren Voyeurismus. Doch sie sind nicht bereit, der Polizei gegenüber als Zeuge aufzutreten.

Für die Opfer ist das schlimm. Denn sie haben so oft wenig Chancen, dass ihnen Gerechtigkeit widerfahren wird und dass Täter bestraft werden. Oper brauchen Zeugen, die aussagen, was sie gesehen haben. Zeugenschaft ist Parteilichkeit für die Opfer. Zeugenschaft ist würdigende Solidarität.

Strafe?

Dieser Artikel ist Teil 2 von 3 der Artikel-Serie Beiträge

 

 

Ein Mann, der von anderen zusammengeschlagen wurde, und noch ein Jahr danach an den Verletzungen und vor allem an dem traumatisierenden Schock leidet, erzählt: „Als jetzt endlich die Gerichtsverhandlung näher rückte, kamen die alten Erinnerungen wieder hoch. Ich hatte sie vorher schon etwas beiseitegeschoben, aber jetzt ging es wieder los. Und gleichzeitig war ich froh, dass es eine Gerichtsverhandlung gab. Mir war es wichtig, dass die Täter bestraft werden und ich Gerechtigkeit bekomme. Ich weiß, dass eine Strafe meine Leiden nicht ungeschehen machen kann. Aber trotzdem. Es war mir wichtig.“

Das hören wir oft. Dieses Anliegen der Gewaltopfer ist richtig und wichtig. Es ist berechtigt.

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Trauma und Würde: Ungelebtes Leben

Traumatische Erfahrungen führen oft dazu, dass manches Leben nicht gelebt werden kann. Den Begriff des „ungelebten Lebens“ hat Victor von Weizsäcker in die Medizin und Therapie eingeführt. Er entspringt eigentlich einer Alltagserfahrung. Wenn wir Menschen uns für einen Partner oder eine Partnerin entscheiden, entscheiden wir uns gegen das Single-Dasein oder gegen eine andere Partnerin oder einen anderen Partner. Wenn wir ins Kino gehen, entscheiden wir uns dagegen, essen zu gehen oder ein Buch zu lesen. Wenn wir einen Beruf ergreifen, entscheiden wir uns gegen einen anderen Beruf.

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Trauma und Würde: Ablenken?

Manche Menschen empfehlen, dass traumatisierte Menschen sich möglichst ablenken, um nicht mit den Trauma-Erinnerungen und Trauma-Folgen konfrontiert zu sein. Andere sagen, dass Ablenkung nichts hilft, dass man sich mit den Trauma-Folgen auseinandersetzen muss. Beides ist richtig, oder besser gesagt: kann richtig sein.

Wer ein Trauma bewältigen möchte, kommt irgendwann nicht umhin, sich mit den traumatischen Erfahrungen auseinanderzusetzen. Dies sollte aber nicht allein geschehen, sondern mit guter und möglichst kompetenter Unterstützung. Dabei sollte man die Erfahrung machen, dass man dem Trauma begegnen kann, aber nicht darin stecken bleibt. Es ist wichtig zu erleben, dass man sich nur allein damit auseinandersetzen muss, sondern dass man in der Not nicht allein ist und mit Begleitung aus dem Trauma-Erleben wieder herauskommen kann.

Doch eine Trauma-Begegnung im Rahmen eines therapeutischen oder ähnlichen Bewältigungsprozesses ist selbstverständlich weder immer möglich noch dauerhaft sinnvoll. Der Wunsch eines jeden Menschen, der eine traumatisierende Erfahrung machen musste, sich von diesen Erinnerungen zu befreien und ihnen nicht immer wieder ausgesetzt zu sein, ist berechtigt. Da kann es helfen, die Ebene des Erlebens zu wechseln und sich abzulenken. Wie das gelingen kann, dafür gibt es keine Rezepte. Das muss jede Person selbst für sich herausfinden. Manche hören Musik, andere unternehmen körperliche Aktivitäten wie Gartenarbeit oder Joggen. Wieder andere brauchen Begegnung mit anderen Menschen. Also Ablenkung ist an sich weder gut noch schlecht, sondern es kommt oft auf den Moment und die Situation an und immer auf die einzelne Person.

Wenn Ablenkungen nicht mehr gelingen, ist dies ein Anzeichen dafür, dass eine therapeutische Begleitung notwendig oder zumindest sinnvoll ist.

„Ich bin immer wieder fassungslos“

Fassungslos zu sein, ist eine häufige Wegbegleiterin traumatisierter Menschen. Und nicht nur dieser. Vieles, was auf der Welt geschieht, macht mich fassungslos. Was manche Menschen anderen Menschen antun, macht mich fassungslos. Dass viele Menschen, nicht nur Politiker*innen, bei Entwürdigungen wegschauen, macht fassungslos. Ich bin dann entsetzt, denke: „Das kann doch nicht wahr sein!“, und verliere meine „Fassung“.

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Gegen Druck hilft drücken !

 

Viele traumatisierte Menschen leiden unter Druck. Zu viele Anforderungen gibt es, die Druck machen. Und unterschwellig ist für manche ein Dauerdruck spürbar. Denn sie haben Bedrückendes erleben müssen. Es macht auch Druck, immer wieder auf Trigger zu achten und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Immer wieder Kraft aufzuwenden, aufrecht durchs Leben zu gehen und die individuellen Traumafolgen zu bewältigen. So kann Druck ein ständiger Lebensbegleiter werden.

Gegen Druck hilft drücken – das ist meine Erfahrung und die vieler anderer. Drücken Sie einen Menschen oder lassen Sie sich drücken. Und wenn keiner gerade in Reichweite ist, dann Ihren Hund, Ihre Katze, Ihr Lieblingsstofftier oder etwas anderes. Drücken und gedrückt werden erleichtert und entspannt. Probieren Sie es aus.

 

„Ich bin so dünnhäutig“

 

Viele Menschen mit traumatischen Erfahrungen erleben sich selbst als „dünnhäutig“. Wenn sie etwas verletzt, reagieren sie oft als „überempfindlich“ – in ihren Augen und in denen anderer. Wenn sie Zeitung lesen oder Nachrichten im Fernsehen oder Internet anschauen, empören sie sich und spüren intensives Mitgefühl bei den täglichen Katastrophenbildern.

All dies kann eine Folge traumatischer Erfahrungen sein. Wer traumatisierende Gewalt erfahren hat, musste erleben, dass seine Grenzen verletzt, seine Schutzschicht durchstoßen wurde. Besonders wenn dies mehrmals passiert und durch andere Verletzungen ergänzt wird, führt dies dazu, dass die betroffenen Menschen in besonderer Weise anderes Leid als ihres spüren und ihre Schutzhaut „dünner“ wird.

Diesen Zusammenhang zu erkennen, ist für viele hilfreich. Die „Dünnhäutigkeit“ kann eine Traumafolge sein. Also gilt es zu würdigen, was ist. Dazu gehört anzuerkennen, dass die Dünnhäutigkeit auch eine Kompetenz ist. Insbesondere in helfenden Berufen, aber auch im Alltag sind solche Menschen in besonderem Maße in der Lage, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und mitzufühlen. So positiv dies ist, so nervend kann die Dünnhäutigkeit auch manchmal sein. Kurzfristige Hilfen kenne ich nicht. Doch mittelfristig kann man einiges tun. Die Zusammenhänge zu erkennen, ist der erste Schritt. Mir und anderen hilft auch, mich manchen Menschen nicht mehr auszusetzen. Ich kann weitgehend wählen, mit wem ich zusammen bin. Ich schaue auch am Abend, zumindest vor dem Schlafen, keine Nachrichten mehr. Und wenn ich Filme schaue, achte ich darauf, dass sie keine oder möglichst schwache Gewaltszenen enthalten. Also ich versuche mich zu schützen.

Ergänzend hilft alles, was den Eigen-Sinn stärkt. Zu wählen, was man wie isst, mit wem man zusammen ist, was man sich wünscht und die eigenen Impulse möglichst wahrzunehmen und zu achten, ist hilfreich. Wie das am besten gelingt, wird jeder Mensch selbst herausfinden.

Mutter und Tochter

Ein 13jähriges Mädchen beginnt, sich zu ritzen. Die Mutter war mit 14 Jahren vergewaltigt worden, hat darüber aber nie gesprochen. Kann das zusammenhängen?

Meine Vermutung ist, dass es Zusammenhänge geben kann, aber nicht muss. Einen Hinweis gibt uns die Erfahrung, dass Mädchen, die anfangen, sich selbst zu verletzen, zu ritzen, darüber zumeist Spannung abbauen. Sie wissen keinen anderen Weg, als über die Schmerzen ihre innere Anspannung zu verringern. Das berichten sie wiederholt.

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