Nach der Wunde fragen

In dem großen Roman „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach aus dem 12. Jahrhundert kommen zwei Ritter vor, Klingsor und Anfortas. Beide haben Schuld auf sich geladen, beide leiden an dieser Wunde. Klingsor verdrängt seine Schuld/seine Wunde und wird zum Täter. Anfortas leidet und wartet darauf, dass ihn jemand erlöst.

Parzival betritt das Schloss, in dem Anfortas lebt und leidet. Er sieht sein Leiden und es drängt ihn, nach dem Leiden zu fragen. Doch er tut dies nicht, er hält sich zurück, denn er folgt der Ideologie, die er von einem Lehrer übernommen hat, dass er höher gestellte Personen nicht nach ihrem Befinden fragen darf.

So verbringt er weitere Jahre auf Wanderschaft, bis er schließlich erneut das Schloss betrifft. A leidet immer noch an seiner Wunde. Parzival, nunmehr gereift und offen für das Leiden anderer, zeigt Mitgefühl und fragt Anfortas: „Oheim, was wirret du?“ („Woran leidest du?“). Nach der Wunde zu fragen und Mitgefühl zu zeigen, erlöst Anfortas.

„Trauma“ ist ein Wort, das aus dem Alt-Griechischen kommt. Es bedeutet „Wunde“.

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Inhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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